52. Grimme-Preis 2016

Neo Magazin Royale, Beitrag #Varoufake (ZDFneo)

Grimme-Preis an

Jan Böhmermann (Idee und Produktion)

Philipp Käßbohrer (Idee und Produktion)

Matthias Murmann (Idee und Produktion)

Produktion: Bildundtonfabrik

Erstausstrahlung: Donnerstag, 19.03.2015, 22:15 Uhr, ZDFneo

Sendelänge: 9.30’

Stab

Buch: Jan Böhmermann

Regie: Philipp Käßbohrer

Kamera: Julia Hüttner

Schnitt: Julian Schleef

Ton: Kai Holzkämper

Redaktion: Sebastian Flohr (ZDFneo), Jens Matthey (ZDFneo), Nicole Sprenger (ZDF), Julia Thiel (btf), Julia Ott (btf), Sanja Pijanovic (btf)

Inhalt

Es ist ein Mittwochabend im März 2015. Die Fernsehrepublik beginnt gerade zu vergessen, wie sehr sich Günther Jauch am Sonntag zuvor bemüht hat, den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis am Ring durch die Manege zu ziehen. In einem YouTube-Video von 2013 hatte der Grieche in einem eher konjunktivischen Beispiel ganz kurz den so genannten Stinkefinger angedeutet. Das mit dem Konjunktiv hat Jauch geflissentlich ignoriert und sich nur auf die Frage konzentriert, ob der Finanzminister nun den Finger gezeigt habe oder nicht. Varoufakis behauptet, das knapp einstündige Video sei bearbeitet worden. „Doctored“, sagt er. Aber das interessiert Jauch kaum.

Am Mittwoch danach nun erscheint Jan Böhmermann mit einem Ausschnitt aus seiner bereits aufgezeichneten Donnerstagssendung „Neo Magazin Royale“ im Netz. In dem Ausschnitt behauptet der Moderator nun, Günther Jauch sei auf eine Arbeit seiner Redaktion hereingefallen. Das Video mit dem Stinkefinger sei tatsächlich „doctored“. Mit einem simplen Programm habe man die Geste in das vorliegende Material hineinmanipuliert. Als er das verkündet, grinst Böhmermann sein berühmtes viel- und nichtssagendes Böhmermanngrinsen. Er weiß: Endlich zweifeln Menschen an dem, was sie sehen. Die Aufregung dauert bis zum nächsten Mittag, bis das ZDF erklärt, es handele sich beim „Neo Magazin Royale“ um eine Satiresendung.

Begründung der Jury

Für eine Nacht hat Jan Böhmermann die Medienrepublik in Aufruhr versetzt. Er hat behauptet, seine Redaktion habe das Varoufakis-Video mit dem Stinkefinger erst erfunden, dann ins Netz geschmuggelt und schließlich beobachtet, wie sich die skandalhungrigen Medienverwerter gierig darauf stürzten und nur noch den Stinkefinger sehen wollten.

Für eine Nacht ist gar nichts mehr klar. Positiv verunsichert sind jene, die sich gerne freuen wollen, dass einer wie Jauch mit seinen boulevardesken Methoden endlich mal vorgeführt wird. Sie wollen Böhmermann zu gerne glauben, dass alles so war, wie er behauptet, denn wenn alles so war, dann besteht Hoffnung, dass das eigene Gewerbe noch nicht ganz so verderbt ist, wie viele glauben. Verunsichert sind aber auch all jene, die vorher gierig Schlagzeilenhonig aus dem Stinkefinger gesogen haben. Sie sehen sich auf einmal genötigt, zu erklären, ob und wie sie das Video vor Benutzung auf Echtheit überprüft haben. Es weht ein ferner Hauch der Hitler-Tagebücher durch den Raum. Natürlich hat niemand die Echtheit des Videos überprüft. Natürlich? Leider. Auf einmal bricht in etlichen Redaktionen Panik aus. Verzweifelt versuchen die Nutzer, die Echtheit nachträglich zu beweisen, und kriegen es nicht hin. Eine Nacht lang tanzen bei vielen Verantwortlichen die Hormone Sirtaki. Erst am Donnerstag, also noch vor der Ausstrahlung der kompletten Sendung im „regulären“ Fernsehen, gibt das ZDF so etwas wie eine Entwarnung. Man denke darüber nach, die Sendung „Neo Magazin Royale“ künftig als Satire zu kennzeichnen, heißt es.Und Böhmermann? Der gibt sich weiter uneindeutig, was erneute Konfusion zur Folge hat. Schließlich hat die Mediennation gerade wieder erfahren, dass man nicht jeder Information blind vertrauen darf. Schon gar nicht, wenn sie aus dem Netz kommt. Quälend langsam lüftet sich schließlich der Schleier. Das mit Varoufakis war nur ein #Varoufake.Es ist Jan Böhmermann und seinem brillanten Team zu verdanken, dass es für die deutsche Medienlandschaft 2015 einen Moment des Innehaltens gab. Einen winzigen Moment nur, aber immerhin, den gab es.

Böhmermann hat nicht nur die Inszenierungsmechanismen der Boulevardindustrie entlarvt, ihm gebührt auch das Verdienst einer großen Medienkritik. Zwar hat er den damals noch als besten deutschen Talker geltenden Günther Jauch nicht als Fälschungsopfer entlarvt. Das war ohnehin nicht seine Absicht. In Wahrheit wollte Böhmermann offenlegen, wie wenig es bei Talkshows im deutschen Fernsehen wirklich um die Sache geht, wie skrupellos die Redaktionen dieser Sendungen gelegentlich werden, wenn sie glauben, aus irgendeinem Detail Schlagzeilen saugen zu können.Jan Böhmermann hat an diesem Mittwoch im März dem deutschen Journalismus einen riesigen Dienst erwiesen. Er hat mit unterhaltenden Mitteln auf die Wahrheit gedeutet, er hat die Branche innehalten lassen, er hat die Apparate für ein paar Stunden gestoppt. Gelernt hat der deutsche Journalismus daraus leider nur wenig, denn wenige Tage danach zerschellte eine Germanwings-Maschine in den Alpen.

 
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