49. Grimme-Preis 2013

Dokumentar-Trilogie „Was lebst du? – Was du willst – Wo stehst du?“ (ZDF)

PreisträgerInnen

Bettina Braun (Buch/Regie/Kamera/Schnitt/Produktion)

Produktion: B’Braun Filmproduktion, ICON Film
Erstausstrahlung Was lebst du?: ZDF, Montag, 14.11.2005, 0.05 Uhr,
Länge: 84'
Erstausstrahlung Was du willst: ARTE, Dienstag, 23.06.2009, 21.55 Uhr
Länge: 41'
Erstausstrahlung Wo stehst du?: ZDF Mo, 30.4.2012, 0.20 Uhr
Länge: 91‘

Inhalt

Ali, Kais und Alban leben mit ihren Freunden in Köln. Ihre Heimat ist Deutschland, ihr Weltbild ist geprägt von der muslimischen Kultur der Eltern. Ihre Familien stammen aus Marokko, Tunesien, Albanien und der Türkei. Vor zehn Jahren lernte Bettina Braun die damals zwischen 16 und 20 Jahre alten Jungen im Kölner Jugendzentrum Klingelpütz kennen, wo sie den Großteil ihrer Freizeit mit rappen verbringen. In drei Teilen spürt die Filmemacherin dem Alltag und den Alltagsproblemen der Heranwachsenden nach. Welche Ziele und Hoffnungen haben sie? Welche Rolle spielen Religion, Kultur und Familie für ihre Träume? In ihren Filmen stellt Bettina Braun Fragen, die die jungen Männer auf ihre Weise beantworten: mit Rap, mit ehrlichen Statements direkt in die Kamera, manchmal ausweichend. Für Ali ist klar: „Ich will Schauspieler werden, ich muss Schauspieler werden, das ist meine einzige Hoffnung. Ich glaub ich schaff das...“ Doch dann: „Ich träume wieder zu viel, oder?“ Bei einem Casting zu einem Musical bekommt er eine Hauptrolle. Es ist aber sein Freund Kais, der an einer Schauspielschule angenommen wird. Beide gehen unterschiedlich mit ihren Träumen, Erfolgen und Misserfolgen um. Kais Eltern finanzieren ihm die Schauspielausbildung. Ali hingegen erzählt seinen streng muslimischen Eltern noch nicht einmal etwas von dem Musical-Auftritt. Der dritte aus der Gruppe, Alban, hat nicht so viel Glück wie seine beiden Freunde. Er kämpft mit Schulden und kulturellen Grenzen. Bettina Braun zeigt eine komprimierte Version von zehn Lebensjahren: Hoffnungen und Enttäuschung sind sich dabei genauso nah wie Kontinuität und Veränderung im Leben von Ali, Kais und Alban.

Stab

Was lebst du? (ZDF)

Produktion: COIN Film

Federführender Sender: ZDF

Buch/Regie/Kamera/Ton: Bettina Braun

Schnitt: Gesa Marten, Bettina Braun

Redaktion: Christian Cloos (ZDF)

 

Was du willst (ZDF/ARTE)

Produktion: B'Braun Produktion

Federführender Sender: ZDF

Buch/Regie/Kamera/Ton: Bettina Braun

Schnitt: Gesa Marten,Bettina Braun

Redaktion: Sabine Bubeck-Paaz, Susanne Mertens (ZDF/ARTE)

 

Wo stehst du? (ZDF)

Produktion: B'Braun Produktion

Federführender Sender: ZDF

Buch/Regie/Kamera/Ton: Bettina Braun

Schnitt: Gesa Marten/Bettina Braun

Redaktion: Christian Cloos (ZDF)

Jurybegründung

Einen gelungenen Dokumentarfilm zeichnet auch aus, dass er dargestellte Menschen oder Themen so nahebringt, dass sie in prägender Erinnerung bleiben. Den drei Filmen „Was lebst du?“, „Was du willst?“ und „Wo stehst du?“ von Bettina Braun lässt sich diese Leistung im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit attestieren. Sie hat mit ihrer in der über mehr als zehn Jahren entstandenen Trilogie ein Zeitdokument geschaffen, das einen tiefen Einblick in kleine und große gesellschaftliche Verhältnisse gibt, ohne mit den üblichen Klischees zu arbeiten.

Die Filmemacherin lässt die Zuschauer am Leben von drei jungen Kölner Männern mit Migrationshintergrund teilhaben: Kais, Ali und Alban. In „Was lebst du?“, Brauns Debüt-Dokumentarfilm von 2004, sind die drei noch grün hinter den Ohren, zwischen 16 und 20 Jahre alt. Sie träumen von einer Rapper- und Schauspiel-Karriere. Ihr Alltag aber ist bestimmt vom „Abhängen“ im Kölner Jugendzentrum „Klingelpütz“. Braun hat sie damals zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet.

Es gehört zu den Höhepunkten des ersten Films, wenn die Jungs den Schwangerenbauch Brauns, die für sie längst zu einer engen Vertrauten geworden ist berühren wollen. „Erste Mal fass ich einer Frau so auf`n Bauch, wenn die schwanger is“, sagt Ali, dessen Eltern aus Marokko kommen. Beeindruckend ist die Szene, als Alban (mit albanischem Hintergrund), den Neugeborenen der Filmemacherin liebevoll im Arm wiegt – das ist so fern aller Bilder, die man von Reportagen über Neu-Kölln bis Köln-Mülheim gewohnt ist, dass es hochbefreiend wirkt.

Braun ist nicht bloß Beobachterin, sondern Teilnehmerin des Geschehens. Durch den damit verbundenen interaktionistischen und dialogischen Charakter erhält das Ganze nicht nur eine persönlichere Note, sondern offenbart auch Spannungen im Umgang mit dem Sujet: Wie Braun im dritten Film „Wo stehst du?“ (2012) auf eine Frage Alis hin antwortet, war ihr die Welt der Jungs anfangs völlig fremd. Sie erschließt die Welt mit der Kamera sich selbst und den Zuschauern auf eine neue und sensitive Weise.

Mit kritischem Nachhaken stößt Braun auf die Zerrissenheit der Jungs zwischen den Heimaten, Kulturen und Religionen und spannt damit den Bogen zu den großen Fragen, die unsere Zeit prägen (Jugendarbeitslosigkeit, Multikulturalität). Nicht zuletzt ist es aber auch der Humor, der die Filme ungemein sehenswert macht.

 
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