47. Grimme-Preis 2011

Neue Vahr Süd (WDR/RB)

PreisträgerInnen

Buch: Christian Zübert
Regie:
Hermine Huntgeburth
Szenenbild:
Bettina Schmidt

Darstellung:
Frederick Lau

Produktion: Studio Hamburg FilmProduktion, Lisa Blumenberg

Erstausstrahlung: Mittwoch, 1.12.2010, 20.15 Uhr

Sendelänge: 90 Min.

Inhalt

Frank Lehmann, 20, pendelt zwischen zwei Welten: Der Bundeswehrwelt mit ihrem bedingungslosen Gehorsam und dem Chaos-Kosmos seiner linken Freunde. „Bloß nicht auffallen“, ist Franks Motto. Doch das gelingt dem späteren Herrn Lehmann weder in der Kaserne noch an den Wochenenden in Bremens Szene.

Begründung der Jury

Bremen 1980, Frank Lehmann ist einer, der nicht auffallen möchte und der gerade dadurch umso stärker auffällt. Er ist nicht gerade der aktive Typ, „mehr so der Hippie-Typ“. Und immer und immer wieder muss er sich dieselbe Frage anhören: Weshalb gehe ausgerechnet einer wie er zum Bund? Ja, warum eigentlich? Schlicht und einfach vergessen. Und so muss er sich durch den Grundwehrdienst quälen, sich schikanieren und mit „Pionier Lehmann“ anbrüllen lassen. Erst nach und nach kommt er aus der Deckung. Aus dem gesinnungslosen „Durchhänger“ wird zumindest ein „Nachdenker“.

Wie macht man aus einem 600-seitigen Roman einen 90-minütigen Film? Autor Christian Zübert und Regisseurin Hermine Huntgeburth konzentrieren sich auf den Konflikt des konfliktscheuen Frank Lehmann und auf die gesellschaftlichen Widersprüchlichkeiten jener Jahre. Der Held wird hin und her gerissen zwischen alternativen Schlaffis und dem Drill bei der Bundeswehr. Zwischen allen Lagern – bald zwischen allen Fronten. Der Film macht aus dem Konflikt ein Bild: Frank Lehmann, ein Wanderer zwischen zwei extremen Welten. Diese leicht schizophrene Erzählstruktur, belebt durch eine pointierte, punktgenaue Montage, verleiht dem Film seinen lakonischen Grundton und sie charakterisiert zugleich trefflich die Hauptfigur. Eine im deutschen Fernsehen höchst seltene, ironisierte leichte Lässigkeit verströmen die 90 Filmminuten. Das trifft den Geist der Vorlage von Sven Regener und gibt dem Film zugleich seine Eigenständigkeit. „Schon weg sein, schon wieder hier sein!“ Das Kommando des Vorgesetzten bestimmt den Lebensrhythmus des heimat- und bindungslosen Helden. Frank Lehmann hält dem System Bundeswehr und der linken Szene den Spiegel vor, ohne am Ende der Schelm zu sein, der den anderen die lange Nase zeigt.

Der Zeithorizont ist vorzüglich getroffen. Die Polit-Bewegtheit der 70er Jahre macht langsam der Post-moderne Platz. Bei „Neue Vahr Süd“ stimmt der große Entwurf, aber es stimmen auch die Details. Wie sein Held nehmen es auch die Macher mit allem sehr genau. Historische Straßenbahnen fahren durchs Bremer Ostertorviertel, der Schlägertyp fährt Manta, der Pionier Lehmann Opel Kadett und die Jungmänner tragen Unterhosen mit Eingriff, im Kino laufen passend die „Blues Brothers“ und „Shining“ und die Studenten, Punker und Ex-Hippies hören im Film genau die Musik, die Studenten, Punker und Ex-Hippies damals hörten. Stimmig-stimmungsvoll der Soundtrack, liebevoll die Ausstattung, vorzüglich das gesamte Ensemble, aus dem der Hauptdarsteller hervorsticht: Frederik Lau packt den Film auf seine Schultern – und über den Zweifel am Zeitgeist legt sich seine Stirn in tiefe Falten.

 
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