58. Grimme-Preis 2022

Sörensen hat Angst

(Claussen + Putz Filmproduktion für NDR)

 

Grimme-Preis an

 

Bjarne Mädel (Regie/Darstellung)

Sven Stricker (Buch)

Kristian Leschner (Bildgestaltung)

Katrin Wichmann (Darstellung)

 

Erstausstrahlung/-veröffentlichung:
Das Erste, Mittwoch, 20. Januar 2021, 20.15 Uhr

Lauflänge: 90 Minuten

 

Inhalt

Der Ermittler auf der Suche nach der heilen Welt: Zwei Jahre war er wegen einer Angststörung krankgeschrieben, nun will Kriminalhauptkommissar Sörensen (Bjarne Mädel) auf einem kleinen Revier in Friesland ganz behutsam zurück in den Job finden. Was soll im beschaulichen Katenbüll im Landkreis Brake – eine Dorfschenke, eine Fleischfabrik und ein leicht verwitterter Polizeibungalow samt zweiköpfigem Kollegium – schon groß passieren? Doch kaum ist Sörensen bei seiner neuen Arbeitsstelle eingetroffen, muss er auch schon zu seinem ersten Fall ausrücken: Der Bürgermeister von Katenbüll liegt erschossen in seinem Pferdestall. Die neue Kollegin Holstenbeck (Katrin Wichmann) erklärt Sörensen, wer im Dorf das Sagen hat – und wer einmal das Sagen hatte. In dem Schlachtbetrieb „Fleischeslust“ trifft Sörensen den selbstgefälligen Fabrikbesitzer Schäffler (Peter Kurth) und in einem verwahrlosten Haus den ehemaligen Kurdirektor Marek (Matthias Brandt), der wegen des Besitzes kinderpornografischer Fotografien sein Amt niederlegen musste. Schließlich entdecken Sörensen und Holstenbeck auf dem Gestüt des Bürgermeisters ein verstecktes Zimmer, in dem Kinder missbraucht und dabei gefilmt wurden. Das vermeintlich beschauliche Katenbüll entpuppt sich als ein Ort, in dem drei der mächtigsten Männer des Dorfes ihren pädophilen Neigungen nachgehen konnten.

 

Begründung der Jury

Wir sind es gewohnt, dass Fernsehkommissar:innen uns verlässlich durch kriminelle Machenschaften und menschliche Abgründe führen. Gerne können sie unter allen erdenklichen Macken leiden, nur eines dürfen sie nicht haben: Angst. Aber genau das ist es, was den Ermittlerhelden in diesem Krimi quält: eine alles annagende, tiefsitzende, therapieresistente Angst. Doch das ist nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal, das „Sörensen hat Angst“ aus dem Gros der Fernsehkrimis heraushebt. Bis in das kleinste Detail vermeidet dieses in jeder Hinsicht außergewöhnliche Täterrätsel alle handelsüblichen Kniffe des Genres und findet bis in die verstörendsten Windungen seines Plots eine eigene Darstellungs- und Bildsprache.

Nie schreit dieser Film: Schaut her! Nie stellt er die Angst der Hauptfigur effekthaschend aus. Und doch wird dem Publikum immer wieder der Boden unter den Füßen weggezogen. Das Thrillerkino auf lakonisch-norddeutsche Art und Weise: Understatement statt Überreizung. Erstaunlich, mit wie wenigen präzisen Strichen Regisseur Bjarne Mädel und sein begnadeter Kameramann Kristian Leschner den Angsttrip ins Friesische nach der Buchvorlage von Sven Stricker in Szene gesetzt haben. Leschner findet starke, zuweilen klaustrophobe Impressionen in einer Landschaft, die doch eigentlich dadurch geprägt wird, dass der Blick unverstellt und frei ist. Mädels Regiedebüt ist voll von solch brillanten Paradoxien.

Doch nicht nur in inszenatorischer Hinsicht reizt Mädel das Spiel mit den Widersprüchen aus – auch im Schauspielerischen gelingt ihm ein grandioser Kraftakt: So konsequent er seinen Ermittler Sörensen mit trockener Komik spielt, so konsequent vermeidet er alle Komik für den aufwühlenden Plot um den Kindesmissbrauch-Ring. Hier ist jeder Ton richtig gesetzt – das ganze Ensemble agiert traumwandlerisch sicher unter Mädels Leitung. Eine Entdeckung für die gesamte Jury war Katrin Wichmann in der Rolle der Sörensen-Kollegin Jennifer Holstenbeck, die beim Bratkartoffelessen ihr gesamtes privates Chaos ausbreitet, um dann wieder ganz die Provinz-Profi-Polizistin zu geben. Da haben sich zwei gefunden, die nicht auseinander gehen sollten.

 
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