54. Grimme-Preis 2018

Zuckersand (BR/ARD Degeto/MDR)

Grimme-Preis an

 

Bert Koß (Buch)

Dirk Kummer (Buch/Regie)

Tilman Döbler (stellvertretend für das Darsteller-Ensemble)

Valentin Wessely (stellvertretend für das Darsteller-Ensemble)

 

Produktion: Claussen+Putz Filmproduktion

Erstausstrahlung: Das Erste, Mittwoch, 11.10.2017, 20.15 Uhr

Sendelänge: 87 Minuten

 

Inhalt

Brandenburg, Ende der 70er Jahre. Die beiden Freunde Fred und Jonas, zehn Jahre alt, teilen alles miteinander. Sie verleben eine fröhliche und behütete Kindheit in der DDR, nahe der deutsch-deutschen Grenze zu West-Berlin. Als bekannt wird, dass Jonas' Mutter einen Ausreiseantrag gestellt hat, werden sie aus ihrem unbeschwerten Alltag gerissen: Die Freunde begreifen, dass sie bald für immer getrennt sein werden. In ihnen reift der Plan, sich irgendwann in Australien wieder zu treffen - verbunden durch einen Tunnel, den sie bereits in den märkischen „Zuckersand“ zu graben versuchen. Der Tunnel soll, so der Plan, einmal quer durch den Erdball bis nach Australien führen. Als Fred eines Morgens klar wird, dass sein bester Freund über Nacht ausgereist ist, fühlt er sich verraten. Er weiß jedoch nicht, dass Jonas alles darangesetzt hat, die Freundschaft zu bewahren: Jonas ist seiner Mutter beim Grenzübertritt davongelaufen, was zu einem tragischen Wendepunkt in der Geschichte führt.

 

Stab

Produktion: Claussen+Putz Filmproduktion (Jakob Claussen, Uli Putz)

Buch: Dirk Kummer, Bert Koß

Regie: Dirk Kummer

Kamera: Christian Marohl

Schnitt: Gisela Zick, Simon Quack

Ton: Václav Flégl

Mischung: Christian Bischoff

Sound-Design: Marcel Spisak

Musik: Thomas Osterhoff

Szenenbild: Tilman Lasch

Kostüme: Diana Dietrich

Darsteller: Tilman Döbler, Valentin Wessely, Katharina Marie Schubert, Christian Friedel, Hermann Beyer, Deborah Kaufmann, Pauletta Pollmann, Gwendolyn Göbel

Redaktion: Claudia Simionescu (BR), Christine Strobl (ARD Degeto), Stephanie Dörner (MDR)

 

Jurybegründung

Die filmische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit erstickt oft in Klischees. „Einer bei der Stasi, einer bei der NVA und einer im Widerstand“ lautet eine beliebte Figurenkonstellation, die man in den vergangenen zwei Jahrzehnten unzählige Male gesehen hat. „Zuckersand“ findet einen neuen Zugang zum Leben in der DDR, indem der Film zwei zehnjährige Jungen und ihren Alltag in den Mittelpunkt stellt.

Leicht und heiter beginnt es, wenn wir Fred und seinen Freund Jonas dabei beobachten, wie sie in den bunten Farben des Spätsommers die Umgebung ihres Dorfes im Brandenburgischen erkunden. Doch plötzlich bedroht das Politische die Freundschaft, weil Jonas‘ Mutter einen Ausreiseantrag gestellt hat. Bert Koß (Buch) und Dirk Kummer (Regie und Buch) beschreiben familiäre Verwicklungen, Schikanen in der Schule und bösartiges Getratsche im Dorf unprätentiös, dramaturgisch zurückgenommen, nie auf den schnellen Effekt abzielend – und doch prägen sich die Bilder und Dialoge nachhaltig ein.

In einer meisterhaften Schlüsselszene zeigt der Film, wie sich in einem DDR-Ausreisezentrum an der Grenze zu West-Berlin Türen, die gleichsam Lebenstüren sind, öffnen und wieder schließen, begleitet von einem schrecklichen Schnarrgeräusch. Wie nebenbei fängt der Film das Unmenschliche eines Regimes ein, dessen Verwalter ohne Mitleid eine Mutter von ihrem Kind trennen – und später den Tod dieses Kindes aus den Akten und damit aus der allgemeinen Erinnerung tilgen wollen.

Die Atmosphäre der DDR in den späten 70er Jahren wirkt auch dank der hervorragend geführten Kinderdarsteller so authentisch. Tilman Döbler als Fred und Valentin Wessely als Jonas liefern eine famose Leistung ab. Sie geben ihren Figuren eine natürliche Unbekümmertheit, die den späteren Verlauf der Geschichte umso schockierender erscheinen lässt. Die Fantasie des Tunnelbaus quer durch den Erdball nach Australien, die Fred und Jonas umzusetzen versuchen, steht für die Kraft der Freundschaft, die alle Grenzen überwinden kann. In einer besonders schönen Szene fliegt ein leuchtender Globus nachts durch Freds Zimmer – und „Zuckersand“ nah an den magischen Realismus heran.

Der bis in die Nebenrollen hervorragend besetzte und gespielte Film endet mit dem Lauf Freds durch ein leeres Stadion, die Taschen voll mit märkischem Zuckersand aus der alten Fabrik, in der er mit seinem Freund den Tunnel grub. Ihn treibt die Hoffnung, einst als Olympiasportler nach Australien zu reisen. Uns Zuschauer beflügelt die Erkenntnis, dass in der DDR-Vergangenheit noch viele Geschichten schlummern, die wir gerne auf dem Qualitätsniveau von „Zuckersand“ erzählt bekommen wollen.

 
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