53. Grimme-Preis 2017

Schatten des Krieges: Das sowjetische Erbe (Teil 1) / Das vergessene Verbrechen (Teil 2) (RBB/NDR)

Grimme-Preis an

Artem Demenok (Buch/Regie)

Andreas Christoph Schmidt (Buch/Regie)

Produktion: Schmidt & Paetzel Fernsehfilme, rbb, NDR 

Erstausstrahlung: Mo, 30.05.2016, 23.30 Uhr, Das Erste und Mo, 06.06.2016, 23:30 Uhr, Das Erste 

Sendelänge: Je 45 Minuten

Stab

Buch: Teil 1: Artem Demenok, Teil 2: Andreas Christoph Schmidt

Regie: Teil 1: Artem Demenok, Teil 2: Andreas Christoph Schmidt 

Kamera: Teil 1: Alexander Abadowski, Johannes Obermaier, Pjotr Pogodin, Oleg Stinski, Teil 2: Alexander Abadowski, Carl Finkbeiner, Pjotr Pogodin, Oleg Stinski 

Schnitt: Teil 1: Salome Machaidze, Teil 2: Andreas Christoph Schmidt 

Ton: Teil 1: Oleg Pawljutschenkow, Pawel Prochorow, David Rummel, Alexander Mossin, Anton Smirnow 

Tonmischung: Christian Wilmes, Teil 2: Rustam Buljakow, Anton Smirnow, Michael Thäle 

Sprecher: Teil 1: Irmelin Krause, Teil, 1+2: Franziska Arnold, Max Volkert Martens, Uwe Müller, Lutz Riedel

Musik: Teil1: Alva Noto, Ryuichi Sakamoto, Teil 2: Arvo Pärt: Fratres

Produktionsleitung: Cordula Paetzel, Rainer Baumert (rbb)

Redaktion: Rolf Bergmann (rbb), Alexander von Sallwitz (NDR) 

Inhalt

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. 75 Jahre später beleuchten Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt im Zweiteiler „Schatten des Krieges“ die russische Sicht auf die nachfolgenden Kriegsjahre. 

Im ersten Teil „Das sowjetische Erbe“ zeigt Demenok, wie in Russland an den „Großen Vaterländischen Krieg“ erinnert wird und welche Bedeutung er noch heute für die russische Gesellschaft hat. Er besucht Monumente in Sewastopol, Wolgograd und Brest, lässt Zeitzeugen und Experten ausführlich zu Wort kommen und verdeutlicht anhand von Ausschnitten aus Spielfilmen, wie sich Mythen und Legenden rund um diesen Krieg verfestigt haben. 

Teil 2 greift einen nahezu vergessenen Massenmord auf. Drei Millionen russische Soldaten starben während des Krieges in deutscher Gefangenschaft durch Gewalt, Hunger und Seuchen. Andreas Christoph Schmidt sucht die Orte dieser Verbrechen – etwa in der Lüneburger Heide – auf, befragt Zeitzeugen, zeigt Wochenschau-Aufnahmen, in denen die Opfer verhöhnt werden, und teilweise schockierende Fotos, die Wehrmachtssoldaten von gezeichneten Gefangenen und grausam entstellten Leichen machten und häufig in privaten Alben sammelten und kommentierten.

Begründung der Jury

27 Millionen Bürger der Sowjetunion verloren im Zweiten Weltkrieg ihr Leben – eine unvorstellbare Zahl. Doch die russische Sicht auf diesen Krieg ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt schenken dieser Perspektive die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Entstanden sind zwei in ihrer Machart unterschiedliche Filme, die einen Anspruch teilen: Die beiden Autoren verdeutlichen, dass die Art, wie wir uns erinnern, entscheidend unser Verständnis der Gegenwart prägt und wir deshalb Geschichte eben nicht als etwas Abgeschlossenes verstehen dürfen.Sie gehen dabei äußerst sorgfältig vor. Sie geben den befragten Zeitzeugen viel Raum, lassen sie nicht nur für ein paar Sätze zu Wort kommen. Die historischen Aufnahmen – seien es alte Wochenschau-Bilder oder Szenen aus russischen Spielfilmen – sind mit Bedacht ausgewählt und eingebettet. 

„Das sowjetische Erbe“ zeigt die riesigen russischen Mahnmale, die Heldengeschichten abbilden, die teilweise erfunden sind. Durch die Gigantomanie werden sie den Millionen Toten nicht gerecht, sondern verherrlichen lediglich den Staat. Demenok schneidet die Berichte der Überlebenden dagegen und zeigt so, dass staatliches Gedenken und die Erinnerung der Menschen nicht dasselbe sind. Er springt in harten Schnitten zwischen Vergangenheit und Gegenwart und holt das scheinbar weit von uns Entfernte ganz nah heran. So macht er deutlich, wie Erinnerung instrumentalisiert wurde und wird und dass vieles, was auch heute noch von Generation zu Generation weitergegeben wird, eine Inszenierung ist. 

Andreas Christophs Schmidts Film ist leiser, gleicht einem Requiem. Er hat eine Vielzahl historischer Aufnahmen zusammengetragen, die er ausführlich zeigt, analysiert und einordnet. So bringt er die Bilder zum Sprechen. Dabei sind es nicht nur die Aufnahmen, die verstören, sondern auch die Art und Weise, wie sie entstanden sind: Ohne erkennbares Schuldbewusstsein fotografierten die Wehrmachtssoldaten ihre Opfer und kommentierten die Bilder wie Urlaubsfotos in ihren Alben. Schmidt erzählt Geschichten hinter den Aufnahmen, wenn er etwa nach Szenen, die Joseph Goebbels Besuch in einem Lager zeigen, dessen Tagebucheintrag von jenem Tag präsentiert.

Beide Filme kommen ohne Effekthascherei aus, Gesagtes und Gezeigtes stehen für sich und entfalteten so ihre Wirkung. Dazu trägt auch die gut ausgewählte Musik bei – im ersten Teil von Alva Noto und Ryuichi Sakamoto, im zweiten von Arvo Pärt. So gelingt ihnen mit „Schatten des Krieges“ Geschichtsfernsehen, wie es sein sollte: gründlich recherchiert, gut aufgearbeitet, aufrüttelnd.

 
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