Grimme-Preis an
Esther Bernstorff (Buch)
Nicole Weegmann (Regie)
Brigitte Hobmeier (Darstellerin)
Jutta Hoffmann (Darstellerin)
Produktion: Constantin Television GmbH (Kerstin Schmidbauer)
Erstausstrahlung: Mi, 16.11.2016, 20.15, DasErste
Sendelänge: 89 Minuten
Stab
Buch: Esther Bernstorff
Regie: Nicole Weegmann
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Ton: Gunnar Voigt
Darsteller: Jutta Hoffmann, Brigitte Hobmeier, Nicholas Reinke, Volker Bruch, Jennifer Frank, André Jung, Lena Stolze u.v.a.
Redaktion: Claudia Simionescu, Amke Ferlemann
Inhalt
Die Kindergärtnerin Nadja (Brigitte Hobmeier) hat sich von ihrer psychisch kranken und alkoholsüchtigen Mutter losgesagt, die ihre Zeit mit Obdachlosen verbringt. Jahrelang hat sich Nadja um die Mutter gekümmert, für die sie schon als Teenager nach der Trennung der Eltern unfreiwillig verantwortlich wurde. Irene (Jutta Hoffmann) hat Wahnvorstellungen und kann plötzlich aggressiv werden. Einmal hat Nadja schon wegen ihr den Job verloren. Jetzt hält sie ihre Adresse vor der Mutter geheim. Doch bei der Hochzeit von Nadjas Bruder ist Irene plötzlich da, redet wirr und pöbelt. Nadja will ihrem Freund Jan nicht gestehen, dass diese verwahrloste Frau ihre Mutter ist. Dann taucht Irene vor Nadjas Kindergarten und vor ihrer Wohnung auf. Alles läuft wie früher: Die Familie lässt Nadja damit allein, einen Betreuungsplatz für Irene zu finden, oder sie zu suchen, wenn sie verschwunden ist. Nadjas Arbeitsplatz gerät wieder in Gefahr. Die Beziehung zu Jan leidet. Erst als er Irene in Nadjas Wohnung findet, sagt sie ihm die Wahrheit. Eine Südamerika-Reise mit Jan sagt Nadja ab, weil sich keiner in der Familie um Irene kümmern will. Jan reist auch nicht, um sie zu unterstützen. Am Ende hat Nadja anscheinend ihren Frieden mit der unlösbaren Situation gemacht.
Begründung der Jury
Nein, dieser Film verliert keine Zeit, vom ersten Moment an ist der ganze Horror da. Eine Hochzeitsgesellschaft, ein glückliches Paar, angenehme Menschen – und dann hat sich auf einmal eine Obdachlose dazugeschlichen. Die Frau, die keiner zu kennen vorgibt, plappert dazwischen; als man sie hindern will, fängt sie an zu schimpfen, zieht am Tischtuch, Geschirr geht zu Bruch. Da hat man schon das Gesicht von Brigitte Hobmeier als Tochter Nadja gesehen, in dem blanke Angst steht. Und alles, was danach kommt, gibt diesem Gesichtsausdruck absolut recht. „Ein Teil von uns“ handelt von Krankheit, Sucht und Co-Abhängigkeit - von einer Katastrophe, an der keiner Schuld ist, und aus der es auch keine Erlösung gibt. Aber es findet in dieser bedrückenden Konstellation eine kleine, leise und deshalb sehr ergreifende Entwicklung zur Hoffnung hin statt.
Das Wort, das jetzt kommen muss, heißt Problemfilm. Es ist an sich unwahrscheinlich, dass man einen so wenig zartfühlenden, so gar nicht durch Kitsch verträglich gemachten Film gerne ansieht. Aber genau das schafft dieses außerordentlich realistische Mutter-Tochter-Drama, das etwas ungemein Spannendes gewinnt durch die Darbietung Jutta Hoffmanns als Irene und Brigitte Hobmeiers als Nadja. Hoffmann spielt vollkommen glaubwürdig eine kranke Frau, die in einem Moment betrunken, verdreckt und schutzbedürftig ist, im nächsten eine unkontrollierbare, teenagerhafte Lebenslust durchblitzen lässt, und gleich darauf ausgerechnet auf die Tochter losgeht, die sich als Einzige um sie kümmert. Auffällig und besonders ist in dem Zusammenhang, dass der Film fast dokumentarisch genau das Milieu der Obdachlosenfürsorge abbildet.
Der Zuschauer sieht die Dinge durch Nadjas Blick – zu den Stärken des vielschichtigen Drehbuchs gehört es, dass es unerbittlich zeigt, wie schnell die Mutter Nadja ins Unglück zieht. Trotzdem lässt sich ein Rest abgöttischer Liebe der Tochter zu Irene erahnen.
Brigitte Hobmeiers Nadja ist eine tatkräftige, aber vor lauter Überforderung beinah schon versteinerte junge Frau, die alle Auswege aus dem Irene-Drama vergeblich erprobt hat. Wir sehen sie den Notfall-Einsatz für die Mutter immer wieder routiniert leisten, man kann fragen, ob sie sich sogar zur Komplizin macht, indem sie Irene immer wieder rettet.
Exzellentes Spiel und Inszenierung wirken in diesem starken Film zusammen, der ohne wundersame Wendung zum Guten endet. Stattdessen wird klar, wie isoliert und schambeladen Nadja ist. Sie lernt kurz bevor es zu spät ist, ihre eigenen Bedürfnisse zu zeigen und ihren Freund Jan um Hilfe zu bitten. Paradoxerweise liegt das Happy End darin, dass Nadja sich dem Leben zuwendet, auch wenn kein Happy End zu erwarten ist.