51. Grimme-Preis 2015

Der Fall Bruckner (BR)

PreisträgerInnen

Hans-Ullrich Krause (Buch)
Cooky Ziesche (Buch)
Urs Egger (Regie)
Corinna Harfouch (Darstellung)

Inhalt

Katharina Bruckner (Corinna Harfouch) ist die erfahrene Kraft auf dem Jugendamt. Eine leidgeprüfte Frau, die – obwohl sie es tagtäglich mit dem Bodensatz der Gesellschaft zu tun bekommt – noch immer ihren Beruf mit großer Leidenschaft ausübt. Zynismus ist ihr fremd, sie zeigt gegenüber ihren Klienten viel Einfühlungsvermögen.
Einer ihrer aktuellen Fälle ist ein verhaltensauffälliger Junge, der siebenjährige Joe (Elon Baer), der extrem ausfallend werden kann und der vor Selbstverletzung nicht zurückschreckt. Die äußerst geringe Frustrationsschwelle der übernervösen, ängstlich wirkenden Mutter (Christiane Paul) gibt Frau Bruckner zu denken. Aber liegt hier schon ein Fall von Kindeswohl-Gefährdung vor? Die alleinerziehende Mutter, eine angesehene, gut situierte Architektin, verbittet sich jede Einflussnahme und nimmt sich gleich einen Anwalt. Instinktiv spürt die Sozialpädagogin, dass Joes Mutter nach außen hin mühsam die Fassade aufrechterhält, doch nach innen völlig überfordert ist. 
Gegen alle Widerstände in ihrer Behörde und trotz persönlicher Anfeindungen lässt Frau Bruckner nicht locker. Als der Junge nach einem Zwischenfall nicht mehr zur Schule geht, interpretiert sie die Situation als „Kinderschutzfall“ und kommt mit dem ganz großen Besteck: polizeiliche Amtshilfe mit Inobhutnahme des Jungen. Die Folge: Bruckner wird der Fall entzogen. Schlimmer noch: die Aktion wird mit ihrer eigenen Geschichte psychologisch in Verbindung gebracht. Denn vor 15 Jahren hatte die zweifache Mutter ihr jüngstes Kind verloren. 

Stabliste

Buch: Hans-Ullrich Krause, Cooky Ziesche
Regie: Urs Egger
Kamera: Jakub Bejnarowicz
Schnitt: Andrea Mertens
Musik: Ina Siefert, Nellis du Biel
Ton: Michael Eiler
Darsteller: Corinna Harfouch, Christiane Paul, Maximilian von Pufendorf, Meike Droste, Elon Baer, Ronald Kukulies, Claudia Eisinger, Bernhard Schütz, Sanne Schnapp
Produktion: kineo Film, Zieglerfilm München
Redaktion: Claudia Simionescu (BR)
Erstausstrahlung: Mi., 24.09.2014, 20.15 Uhr, Das Erste
Sendelänge: 90min.

Begründung der Jury

„Manchmal darf man nicht zögern. Sonst sind wir im falschen Beruf“, sagt Katharina Bruckner. Also handelt die Sozialpädagogin und schon ist es „Der Fall Bruckner“. Ehrlich, differenziert und unsentimental erzählt Regisseur Urs Egger die Geschichte einer engagierten Frau, die Kopf und Kragen riskiert. Und sich mit einer erfolgreichen, alleinerziehenden Architektin anlegt, die verdächtigt wird, ihren Sohn zu misshandeln. 
Was Drehbuchautor Hans-Ullrich Krause gemeinsam mit Cooky Ziesche in diesem Fernsehfilm alter Schule erzählt, ist harter Stoff – und Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Krause weiß, wovon er schreibt, er ist Pädagoge und Leiter des Kinderhauses Berlin-Mark Brandenburg. Daher zeichnet sich „Der Fall Bruckner“ durch einen starken Realismus aus und verzichtet auf jegliche Sozialromantik und Milieuvoyeurismus. Der Autor widmet sich intensiv der Binnenstruktur und gibt einen nüchternen Einblick in die Arbeitswelt eines Jugendamtes, ohne den dramaturgischen Bogen zu vergessen. Wie viel Intuition und Fingerspitzengefühl man in dem Job benötigt, wenn man nicht weiß, wie die Wahrheit aussieht, wenn es nur Indizien gibt, zeigt der ambitionierte, nachdenklich stimmende, eher stille, in unprätentiösen Bildern erzählte Film.
Doch „Der Fall Bruckner“ ist kein Themenfilm, er ist das eindringliche Porträt einer Frau, die täglich aufs Neue und oftmals ganz allein entscheiden muss, ob einem Kind, das sich selbst nicht äußern kann, Gefahr droht oder nicht. Corinna Harfouch spielt diese „Heldin“, die keine sein will, mit großer emotionaler Kraft. Dabei nutzt sie die ganze Breite des Gefühlsspektrums, von freundlich bestimmt über unterkühlt abweisend bis zur völligen Verunsicherung. Diese Katharina Bruckner ist eine ruhige, in den immer gleichen Wollmantel gehüllte Frau, die nach den kleinen Ventilen sucht für die oft belastenden Fälle: Die Zigarette gibt ihr Kraft, beim Glas Rotwein entspannt sie. Da stimmt jede Geste, jeder Blick. Corinna Harfouch trägt den Film fast im Alleingang.
Am Ende gibt es Hoffnung, denn Mutter und Sohn ziehen gemeinsam in ein familienintegratives Projekt. Das mag ein wenig versöhnlich und süßlich wirken, doch das passt zu diesem Film, der Mut machen will, genau hin zu sehen. Hier spielt „Der Fall Bruckner“ durchaus mit einer Utopie, aber auch die gehört zum fiktionalen Erzählen. Und das gezeigte Projekt gibt es wirklich: im Kinderhaus Berlin - Mark Brandenburg e.V. von Dr. Hans-Ullrich Krause.

 
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