PreisträgerInnen
Jan Georg Schütte (Buch/Regie)
Ulf Albert (Schnitt)
Inhalt
13 einsame Herzen, sieben Frauen und sechs Männer, treffen sich zu einem Speed-Dating für Senioren. Im Sieben-Minuten-Takt sollen sie einander ihr Herz ausschütten, sich interessant machen, auf Knopfdruck flirten, Sehnsüchte offenbaren. Da treffen sich Witwer und Witwen, Geschiedene, Alleingebliebene, Rastlose, Singles, Hagestolze, Damen, Burschikose, Herren, Kerle, Kavaliere, Grobiane, Mauerblümchen, Stolze und Romantikerinnen. Sie sind zwischen Ende 60 und Mitte 80 und suchen wie die Jungen: Liebe, Nähe, Zärtlichkeit, Geborgenheit, Abenteuer, Halt.
Dreizehn Schauspieler treffen auf 19 Kameras, finden kein Drehbuch und müssen sich auf ihre Improvisationskunst verlassen. Sie, die Herzsucher, verfehlen sich, schweigen sich an, stoßen sich bald ab, finden für Momente zueinander, bleiben sich fremd, spielen Theater, öffnen sich plötzlich und verschließen sich wieder. Sie: „Ich liebe die Reiterei!“ - Er: „Ich hasse Pferde!“ Er: „Schon als Jugendlicher bin ich nicht zum Sex gekommen, weil ich zu viel gequatscht habe!“ Ein anderer: „Man kann auch nett miteinander schweigen.“ Oder: „Frauen wollen zujehört werden!“
Gedreht wurde nur an zwei Tagen, aber aus 20 Stunden improvisiertem Material mussten Geschichten, Dramaturgien und Entwicklungen destilliert werden. Was für ein Abenteuer auch und gerade für den Schnitt! „Altersglühen“ ist ein Film, der dem Fernsehen Proberäume des Erzählens schenkt, ein Liebesfilm der ganz anderen Art und Weise.
Stabliste
Buch: Jan Georg Schütte
Regie: Jan Georg Schütte
Kamera: Carol Burandt von Kameke
Schnitt: Ulf Albert
Musik: Gary Marlowe, Daniel Hoffknecht
Ton: Volker Zeigermann
Darsteller: Mario Adorf, Senta Berger, Victor Choulman, Jörg Gudzuhn, Michael Gwisdek, Matthias Habich, Brigitte Janner, Gisela Keiner, Hildegard Schmahl, Christine Schorn, Jochen Stern, Ilse Strambowski, Angela Winkler, Jan Georg Schütte
Produktion: Riva Filmproduktion
Redaktion: Lucia Keuter (WDR), Sabine Holtgreve (NDR)
Erstausstrahlung: Mittwoch, 12.11.2014, 20.15 Uhr, Das Erste
Sendelänge: 85 min.
Begründung der Jury
Unendlich viele Drehbücher arbeiten in uns, aber wenn es drauf ankommt, fehlen uns im Leben immer die richtigen Worte, um uns geborgen zu fühlen wie im Film. „Altersglühen“ schenkt den Schauspielern und den Zuschauern von Anfang an Freiheitsmomente. Nein, das ist keine durchgeschriebene Geschichte, nein, das sind keine festgelegten Figuren, nein, die Dramaturgie wirft keine stereotypen Rettungsringe. Der Autor und Regisseur Jan Georg Schütte und sein Editor Ulf Albert wagen das Experiment, die Schauspieler werden ohne Skript ins Offene entlassen, eingeladen.
So viele Filme und Rollen sind im Fernsehen festgezurrt, steinern, wir kennen die Sätze und Wendungen bis zum Verdruss. Gegen diese öden Routinen opponiert „Altersglühen“. Die Schauspieler müssen ihre Figur selbst erfinden, der ganze Filmapparat wird durch die experimentelle Ausgangslage produktiv gefordert. Der Zuschauer bildet sich ein, Schauspieler wie Mario Adorf, Senta Berger oder Michael Gwisdek zu kennen, in und mit „Altersglühen“ kann er an ihren Prozessen der Selbstfindung und Selbsterschütterung teilhaben. Kann erleben, wie sich mimetische Handschriften, Images, spontane Impulse und biografische Muster knisternd reiben: So entstehen reizvolle Mischwesen, Figuren, die kaum ein Drehbuchautor so nah ans Leben hätte rücken können.
Für diese Versuchsanordnung hat der Regisseur ein Ensemble versammelt, dass die Stars von ihrer Prominenzlast befreit und die nicht ganz so großen Namen ebenbürtig glänzen lässt. Das sind - in alphabetischer Reihenfolge - Mario Adorf, Senta Berger, Viktor Choulman, Jörg Gudzuhn, Michael Gwisdek, Matthias Habich, Brigitte Janner, Gisela Keiner, Hildegard Schmahl, Christine Schorn, Jochen Stern, Ilse Strambowski und Angela Winkler. „Altersglühen“ ist hochkomisch, bewegend, rührend, heiter, traurig, ein filmisches Antidepressivum.
Die Liebes- und Freundschaftssuche im fortgeschrittenen Alter ist ein großes Thema, das hier ausgelotet wird, ohne Süßstoff-Signale, ohne Schmalspur-Tragik. Jeder wird hier seinen Lieblingsaugenblick finden, jeder zieht sich hier einen eigenen Splitter zu, der ihm unter die Haut fährt, aber Michael Gwisdeks Satz „Frauen wollen zujehört werden“ wird man ebenso wenig vergessen wie Hildegard Schmahls nahezu gesungenen Berührungswunsch, Adorfs schmerzhaft wache Responsivität, Senta Bergers zunehmende Gefühlsvereisung oder Brigitte Janners offensive Koketterie. Bitte mehr davon, hinaus ins Offene!