48. Grimme-Preis 2012

Homevideo (ARTE/NDR/BR)

PreisträgerInnen

Jan Braren (Buch)
Kilian Riedhof (Regie)
Benedict Neuenfels (Bildgestaltung)
Jonas Nay, Sophia Boehme (Darstellung)

für

Homevideo (ARTE/NDR/BR)

Produktion: teamWorx

Inhalt

Wirklich offen ist Jakob nicht. Der 15-Jährige spielt zwar mit Freunden regelmäßig Basketball, aber ansonsten zieht er sich lieber zurück. Melancholisch und schüchtern ist er. Die Welt betrachtet der Jugendliche viel lieber durch seine Video- und Fotokameras, durch die er eine künstliche Distanz zu seiner realen Welt schafft. Da ist er nicht nur auf sich alleine gestellt, sondern muss auch mit ansehen, dass sich seine Eltern ständig streiten. Jakobs Herz schlägt für Hannah, ein Mädchen aus der Parallelklasse. Irgendwann nimmt er allen Mut zusammen und spricht sie an. Als sich beide gerade näher kennenlernen, gelangt Jakobs Videokamera durch einen Zufall in die Hände seines besten Freundes Erik. Das Material, das er auf der Speicherkarte findet, zeigt wie Jakob Hannah seine Liebe gesteht und sich danach selbst befriedigt. „Das ist Herrschaftswissen“, sagt Eriks Freund Henry stolz, der das Video auch gesehen hat. Nachdem Henry versucht, Jakob mit dem Video zu erpressen, stellt er es ins Internet. Kurze Zeit später kursiert es in allen Klassen – auf Handys und auf Rechnern. Für Jakob bricht eine Welt zusammen. „Die haben das alle auf ihren Handys“, erzählt Jakob verzweifelt seinen Eltern. „Ich kann mich gleich umbringen.” Er wird anonym beschimpft und bedroht, die Schulleitung suspendiert ihn schließlich. Seine Familie versucht, Jakob Halt zu geben. Aber nur vordergründig hat es den Anschein, dass Jakob über die Sache hinweggekommen ist. Als er das anhaltende Mobbing nicht mehr aushält, nimmt er sich das Leben.

Stab

Produktion: TeamWorx

Federführender Sender: NDR

Buch: Jan Braren

Regie: Kilian Riedhof

Kamera: Benedict Neuenfels

Schnitt: Benjamin Hembus

Ton: Michael Kunz

Musik: Peter Hinderthür

Darstellung: Jonas Nay, Wotan Wilke Möhring, Nicole Marischka, Sophia Boehme, Jannik Schümann, Tom Wolf, Petra Kelling, Sabine Timoteo, Hans Werner Meyer

Redaktion: Jeanette Würl (NDR), Claudia Simionescu (BR), Andreas Schreitmüller (ARTE)

Erstausstrahlung: ARTE, Freitag, 19.08.2011, 20.15 Uhr

Sendelänge: 88‘39

Jurybegründung

Der 15-jährige Jakob ist ,„medienkompetent“. Auf dem Schreibtisch steht der eigene Laptop, an der Wand hängen selbst geschossene Fotos, mit der Videokamera führt er gewissermaßen Zwiesprache. Mit ihr hat er die glücklichen Momente aufbewahrt, die in seiner Familie selten geworden sind. Ihr kann er auch intime Gefühle anvertrauen. Frisch verliebt, hat sich Jakob -- aus Überschwang und pubertärer Lust --bei der Selbstbefriedigung gefilmt. Nie im Leben käme ihm in den Sinn, dieses Video anderen zugänglich zu machen.

„Homevideo“ greift mit Cybermobbing ein aktuelles und wichtiges Thema auf. Die Freiheit des Internet, gut und schön. Aber Eltern kommt diese Freiheit heutzutage eher unheimlich vor. Was treiben ihre Kinder da bloß, in den sozialen Netzwerken und den Chatrooms? Den Film kann man als aufrüttelnde Mahnung sehen, auch als Film über die gestörte Kommunikation in einer Ehe und zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Aber er ist kein Plädoyer für oder gegen neue Medien.

Alles geschieht hier lediglich, weil sich Menschen so oder so entscheiden. Die Mutter, die gerade vollauf mit der bevorstehenden Trennung von ihrem Mann beschäftigt ist und aus Unwissenheit und Naivität die Kamera verleiht. Der Schulkamerad, der die Bilder schließlich ins Netz stellt. Er ist der klassische Bösewicht, der mit voller Absicht handelt und dabei die Techniken seiner Zeit nutzt. Der Vater, der nur Gutes will, aber schon mit dem eigenen Unglück überfordert ist.

Klug und alles andere als oberlehrerhaft nutzen Autor Jan Braren und Regisseur Kilian Riedhof das Thema, um die bewegende Geschichte eines in sich gekehrten und sensiblen Jugendlichen zu erzählen. Der junge Jonas Nay spielt den Jakob geradezu schmerzhaft glaubwürdig und lebensnah. Unmöglich, nicht Anteil zu nehmen an dieser Figur. Bemerkenswert auch Sophia Boehme als selbstbewusste Hannah, die der jugendlichen Liebesgeschichte Wärme und Wahrhaftigkeit verleiht.

Unangemessen oder gar peinlich wirkt keiner einzige Szene, auch dank der Kamera von Benedict Neuenfels, die uns ebenso mitreißt wie mitfühlen lässt. Wir Zuschauer jagen mit Jakob auf dem Fahrrad dem privaten Video hinterher, bangen mit, hoffen auf  eine Wende zum Guten und wissen doch, dass sich in dieser vernetzten, superschnellen Welt nichts mehr zurückholen lässt. Der Verlust des Privaten als große Tragödie: Das wird konsequent bis zum Ende erzählt. Wie unerschrocken Fernsehen doch manchmal sein kann.

 
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