43. Grimme-Preis 2007

Nicht alle waren Mörder (ARD/SWR/BR/rbb)

Publikumspreis der Marler Gruppe an

Jo Baier (Buch/Regie)

Nadja Uhl und Aaron Altaras (Hauptdarsteller)

Stab

Produktion: teamWorx, Gabriela Sperl, Nico Hofmann, Jürgen Schuster

Buch/Regie: Jo Baier

Kamera: Gunnar Fuß

Schnitt: Clara Fabry

Darsteller: Aaron Altaras, Nadja Uhl, Hannelore Elsner, Dagmar Manzel, Maria Simon, Richy Müller u.a.

Redaktion: Manfred Hattendorf, Michael Schmidl (SWR), Bettina Reitz, Bettina Ricklefs (BR)

Erstausstrahlung: Mittwoch, 1.11.2006, 20.15 h

Sendelänge: 94 Min.

Inhaltsangabe

„Ich hätte dir eine andere Kindheit gewünscht“, sagt die Jüdin Anna Degen zu ihrem elfjährigen Sohn Michael. Es ist März 1943, als für die beiden eine zweijährige Odyssee in und um Berlin beginnt. Die Nachbarn werden zur Deportation abgeholt. Anna und Michael aber gelingt es unterzutauchen. Eine Freundin bringt sie zunächst bei der russischen Emigrantin Ludmilla unter. Ein gefährliches Versteck, weil Ludmilla in ihrem Wohnzimmer Konzerte für Nazi-Größen gibt. Als bei einem Bombenangriff das Haus zerstört wird, vermittelt ihnen der Kommunist Hotze eine Bleibe bei Oma Teuber, die ganz pragmatisch nicht nur ihre Zimmer, sondern auch ihre Töchter vermietet. Doch auch hier sind die Degens nicht auf Dauer sicher, denn Anna wurde auf der Straße als Jüdin erkannt. Sie fliehen aufs Land zu Hotze, seiner Frau Käthe und seiner Schwester Marthchen. Zur Tarnung in eine HJ-Uniform gesteckt, freundet sich Michael mit dem Nachbarjungen Rolf an. Aber auch hier erreichen sie die Schrecken des Krieges. Hotze steht als Kommunist unter Beobachtung der Gestapo.

Anna und Michael finden Zuflucht bei Rolf und seinem verschlossenen Vater Redlich. Beinahe entwickelt sich so etwas wie ein Familienleben, bis Rolf bei der Suche nach Granatsplittern ums Leben kommt. Der Vater verzweifelt über den Tod seines Sohnes und begreift ihn als Strafe für die Schuld, die er sich aufgeladen hat, indem er immer nur stillschweigend seine Arbeit verrichtete: als Lokführer, der die Juden zur Vernichtung in die Konzentrationslager transportierte.

Begründung der Jury

März 1943: Die Jüdin Anna Degen flieht mit ihrem kleinen Sohn Michael vor der Deportation durch die Nazis in den Untergrund Berlins.

Es folgen zwei Jahre voller Angst vor Entdeckung, Unmenschlichkeit und Verrat. Was die Beiden jedoch davor bewahrt, sind Vertrauen in Fremde, in zwischenmenschliche Solidarität und der unbändige Überlebenswille, den die Mutter aus der Liebe zu ihrem Sohn schöpft.

Jo Baier gelingt es mit seinem Film, den Zuschauer emotional zu fesseln und ihn nach dem Film noch lange mit der Frage zu konfrontieren, was er selbst in dieser Situation getan hätte. Da die Geschichte konsequent aus der Perspektive des Kindes erzählt wird, kann sich der Betrachter kaum in eine historische Distanz zurückziehen, sondern wird mitgerissen von den Ereignissen, Charakteren und Emotionen. Das Schicksal des Jungen Michael bleibt somit kein Einzelschicksal, sondern steht exemplarisch für die Behauptung menschlicher Werte in Zeiten, in denen sie längst verloren geglaubt sind.

Der Film regt zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch an

So spiegelt die bis ins kleinste Detail authentische Ausstattung – ergänzt von Kostüm, Maske und Musik – die oft bedrückende Atmosphäre jener Tage gekonnt wieder und verbindet das Episodenhafte der Ereignisse zu einem großen, stimmigen Ganzen.

Die Schauspieler sind selbst in den kleinsten Nebenrollen überzeugend besetzt worden und stellen in großer Vielschichtigkeit die Figuren in ihrem jeweiligen Spannungsfeld dar. Hierbei muss Aaron Altaras besondere Erwähnung finden, denn seine unverbrauchte Form der Darstellung bildet einen wirkungsvollen Kontrast zu der bisweilen gnadenlosen Brutalität seiner Umwelt. 

„Nicht alle waren Mörder“ ist ein Film, der tiefe Betroffenheit auslöst, den Zuschauer jedoch nicht mit dieser allein zurück lässt , sondern – wie es die Marler Gruppe erfahren hat – zum aktiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen anregt und somit in besonderer Weise die Programmverantwortung des Fernsehens erfüllt.

 
Zurück