42. Grimme-Preis 2006

Welthauptstadt Germania (ARTE/rbb/SWR)

Sonderpreis Kultur des Landes NRW an

Artem Demenok (Buch/Regie)

Stab

Redaktion: Hans von Brescius (rbb), Peter Gottschalk, Dagmar Mielke, Martina Zöllner (SWR)

Buch / Regie: Artem Demenok (Preisträger) 

Kamera: Andreas Bergmann

Schnitt: Vera Sorrentino

Produktion: Schmidt & Paetzel, Andreas Christoph Schmidt u. Cordula Paetzel, rbb, Rainer Baumert

Sendelänge: 53 Min.

Erstausstrahlung: Samstag, 8.5.2005, 22.25 h

Inhaltsangabe

Was sind schon London oder Paris? Germania, das neue - vollkommen umgewandelte - Berlin, sollte höchstens mit Babylon, dem alten Ägypten oder Rom vergleichbar sein. Schon 1925, acht Jahre vor seiner Machtergreifung, entwarf Adolf Hitler zwei Hauptbauten für seine städtebauliche Vision: eine riesige Kuppelhalle, in der 180.000 Menschen Platz finden sollten, 290 Meter hoch, den Reichstag bei weitem überragend, siebzehn Mal so groß wie der Petersdom in Rom; und einen 117 Meter hohen Triumphbogen, doppelt so groß wie das Pariser Vorbild.

Von 1936 an sollte der junge und ehrgeizige Architekt Albert Speer Hitlers Pläne umsetzen; er wurde zum Generalbauinspektor mit weitreichenden Kompetenzen ernannt. Das Berliner Olympiastadion, das heutige Bundesfinanzministerium oder der Flughafen Tempelhof sind Beispiele für die Monumentalbauten aus der Nazizeit. Speers Entwürfe waren sehr klar, in sich geschlossen, nahmen allgemein Zeitgeistiges auf. Ihre Formensprache sollte ebenso wie ihr reines Volumen beeindrucken und eine Bühne für die total kontrollierte Gesellschaft bilden. Historische Aufnahmen und Trickfilme sowie Modelle werden in "Welthauptstadt Germania" mit Experteninterviews kombiniert. Ein Architekt, ein Architekturhistoriker und ein Philosoph gehen der Frage nach, wie Speers Architektur einzuordnen ist und in welchen Zeit-Bezügen sie steht.

Begründung der Jury

Die Auseinandersetzung mit unserem - durchaus widersprüchlichen - architektonischen Erbe zählt auch im ambitionierten Dokumentarfilm zu den Ausnahmen. Das mag auf den ersten Blick verblüffen, bieten doch die Zeugnisse der Baukunst per se einen außerordentlich hohen Schauwert. Als umso schwieriger erweist es sich freilich, jenseits der Oberfläche für die Strukturen, Intentionen und Wirkungen von Baukörpern aussagekräftige Bilder zu finden, die uns am Bildschirm eine Einordnung und Bewertung dieser kulturellen Leistungen ermöglichen.

In dieser Hinsicht hat Artem Demenok mit seiner knapp einstündigen Produktion Vorbildliches geleistet. Ihm geht es in seinem exzellent recherchierten filmischen Essay "Welthauptstadt Germania" nicht allein darum, an die monströse Städtebau-Politik der Nazis zu erinnern. Vielmehr vermag er es auch, mit kompetenten Gesprächspartnern wie dem Architekten Léon Krier oder dem Philosophen Boris Groys die ästhetischen Allmachtsfantasien der NS-Bauherren sichtbar und erfahrbar zu machen.

Das Ergebnis fügt sich zu einem klugen und konzentrierten Film, der in seiner Erzählweise in jeder Hinsicht überzeugt und mit einer außergewöhnlich sorgfältigen Auswahl von - zum Teil selten gesehenen - Archivaufnahmen aufwartet.

Artem Demenok gelingt hier Erstaunliches: Er zeigt pointiert und ohne ideologische Scheuklappen, wie Architektur missbraucht werden kann, um politische Macht zu inszenieren. Dabei lädt uns der Filmemacher zugleich ein, unser auch von Stereotypen geprägtes Wissen über die NS-Architektur in Frage zu stellen. Das ist schon deshalb nicht hoch genug zu veranschlagen, weil eine lebendige Kultur sich eben auch im Fernsehen dadurch auszeichnet, unser Vor-Wissen in Frage zu stellen und uns zum Nachdenken anzuregen.

 
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