57. Grimme-Preis 2021

Parlament

(Cinétévé/Artémis Productions/Cinecentrum für ONE/WDR)

 

Grimme-Preis an

 

Noé Debré (Buch)

Daran Johnson (Buch)

Pierre Dorac (Buch)

Maxime Calligaro (Buch)

Émilie Noblet (Regie)

Jérémie Sein (Regie)

 

Erstausstrahlung/-veröffentlichung:
ARD Mediathek, Dienstag, 29.09.2020, 20.15 Uhr

Lauflänge: 10 x 30 Min.

 

Inhalt

Samy Kantor (Xavier Lacaille) fängt kurz nach der Brexit-Abstimmung im Europaparlament in Brüssel als Praktikant an. Bereits an seinem ersten Tag begeht er aus Unwissenheit und Naivität einen folgenschweren Fehler, der ihn in eine Kaskade aus Schwierigkeiten stürzt und immer tiefer in die Änderungsschlachten und Fraktionsbildungen des Parlaments ziehen wird. Die deutsche Politberaterin Ingeborg Becker (Christiane Paul) zwingt ihn, innerhalb von sechs Monaten einen Gesetzesentwurf gegen das Abtrennen von Haifischflossen, das sogenannte „Finning“, zu entwerfen. Ihre wahren Beweggründe dafür zu erkennen vermag er selbstverständlich nicht. Von seinem Vorgesetzten, dem Abgeordneten Michel Specklin (Philippe Duquesne), kann Samy keine Hilfe erwarten, der versteckt sich lieber hinter seiner Inkompetenz, und das schon seit drei Jahren. Die 1600 Änderungsanträge auf seinem Schreibtisch erleichtern die Angelegenheit ebenso wenig wie die Intrigen falscher Freunde und korrumpierbarer Lobbyisten. Einzig Eamon Geraghty (William Nadylam), Leiter des Ausschusses für Fischerei, erweist sich als gescheiter Mentor, der mehrfach die Weichen stellt auf Samys idealistischem Weg durch die europäische Bürokratie.

 

Begründung der Jury

Film- und Fernsehproduktionen können wie ein Brennglas wirken, indem sie drängende, gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus rücken. Auch durch herausragende kreative Leistungen stechen Produktionen hervor. Bei der Vergabe eines Grimme-Preises können ebenfalls die folgenden Kriterien entscheidend sein: der Wille und die Tatkraft, einen Stoff zu fiktionalisieren, der sonst bleiern wie schlechtes Hefegebäck im Regal zu vergehen droht – in diesem Fall Europa-Politik – und damit nicht zu scheitern, sondern eine der besten europäischen Comedy-Serien des Jahres zu produzieren. Willkommen im „Parlament“! Die Persiflage lädt auf unterhaltsame Weise dazu ein, sich mit Europa, dessen Werten und Politikbetrieb auseinanderzusetzen, und sie ist zugleich ein Statement gegen eine wachsende Europa-Frustration.

Die kluge Erzählstruktur trägt über die gesamte Länge der Staffel, dabei wird die europäische Idee auf Mikroebene durchgespielt. Die parlamentarischen Assistent*innen Samy, Rose und Torsten werden in einen machiavellistischen Strudel hineingesogen und schlagen sich nicht schlecht in den kafkaesken Situationen, die sich im Flurlabyrinth der Institution abspielen. Die Drehbücher hierfür schrieben Daran Johnson und Noé Debré.

Die Logik des Plots wirkt vom Kleinen ins Große und spiegelt die Komplexität der Institution. An einem vermeintlich unbedeutenden Kleinstthema, dem „Finning“, entspinnen sich die Irrungen und Wirrungen der Europapolitik, inklusive persönlicher Dramolette. Erstklassig sind die drolligen bis geistreichen Dialoge und das schwungvolle Tempo. Der Sprachenmix und die Originalschauplätze erzeugen eine hohe Glaubwürdigkeit und verschärfen die Situationskomik.

Zugegeben, auch in „Parliament“ werden bei der Figurenzeichnung mitunter Klischees reproduziert, was stellenweise klamaukig gerät, aber durchaus mit einer gewissen Nonchalance daherkommt. Alle teilen aus, alle stecken ein. Um es mit Torstens Worten zu sagen: „Leute, wir müssen aufhören, uns zu streiten und an Regeln und so weiterarbeiten.“

Eigenartig zu beobachten war die abgebildete Prä-Corona-Welt, die wie unter einer Glasglocke wirkt. Doch dadurch verstärkt sich der politische Wahnwitz umso mehr und lässt dabei das Bedürfnis aufkommen, genau diese unmittelbare Kommunikation wieder hautnah erleben zu können.

Der Grimme-Preis für die französisch-belgisch-deutsche Co-Produktion „Parlement“ ist eine Empfehlung in alle Richtungen, mehr länderübergreifende, europäische Geschichten zu erzählen – und das nicht nur im Krimi-Genre.

 
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