57. Grimme-Preis 2021

Drinnen – Im Internet sind alle gleich

(btf/eitelsonnenschein für ZDF-Das kleine Fernsehspiel/Quantum und ZDFneo)

 

Grimme-Preis an

 

Lutz Heineking jr. (Regie)

Philipp Käßbohrer (Creator und stellv. für die Autor*innen)

Julian Schleef (Postproduktion, stellv. für das Team)

Lavinia Wilson (Darstellung)

 

Erstausstrahlung/-veröffentlichung:
ZDFmediathek, ab Freitag, 3. April 2020, 20.00 Uhr

Lauflänge: 15 x 10 Min.

 

Inhalt

Berlin in den ersten Tagen der Coronakrise: Charlotte Thielemann (Lavinia Wilson) ist wie so viele in Deutschland zum Homeoffice verdammt und verbringt die Zeit alleine in ihrer Wohnung vor dem Computer. In etlichen Videoschalten versucht sie die Baustellen in ihrem Leben in den Griff zu bekommen, und von denen gibt es reichlich. Zum einen will sie sich von ihrem Ehemann Markus (Barnaby Metschurat) trennen, der gerade mit den zwei gemeinsamen Kindern in Brandenburg auf dem Land ist. Zum anderen plant sie ihren Job in der Werbeagentur hinzuschmeißen. Dass Charlotte glaubt, sie könnte ihre Chefin Veronica (Johanna Gastdorf) mit Covid-19 infiziert haben, macht die Verabschiedung aus der Firma besonders kniffelig. Denn als die andere ins Krankenhaus kommt, soll Charlotte auf einmal aus dem Lockdown die Leitung der Agentur übernehmen und einen komplizierten Pitch organisieren. Zudem setzen ihr die Eltern (Victoria Trauttmansdorff und Wolf-Dietrich Sprenger) schwer zu, weil sie die Gefahren des Virus herunterspielen. Am Bildschirm versucht Charlotte per Mausklick und Webcam das Chaos zu ordnen.

 

Begründung der Jury

Die Krise als Chance? Die zur Corona-Pandemie viel zitierte Redensart muss angesichts dieser Serie noch einmal von ganzem Herzen angestimmt werden. Wie es den Verantwortlichen der ZDFneo-Produktion gelungen ist, im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 mit leichtem technischem Gepäck dieses so virtuose wie witzige Krisenszenario zu entwickeln, beweist ein untrügliches Gespür für den Puls der Zeit und eine enorme Lust an der Improvisation. Aus der Lähmung und der Orientierungslosigkeit der ersten Tage der Coronakrise heraus gelingt es dem Serienschöpfer Philipp Käßbohrer und seinem Team, die einprasselnden verstörenden Nachrichten, die heiß laufende digitale Kommunikation und die entgleisenden Videocalls zu einer großen, hoch nervösen Erzählung zu komponieren.

Das Leben ist ein Provisorium, das beständig zusammenzubrechen droht, und die Hauptdarstellerin Lavinia Wilson versucht in ihrer Rolle als Charlotte auf schreiend komische Art das Schlimmste zu verhindern. Bemerkenswert, welche Präsenz sie auf dem immer wieder geteilten Bildschirm herzustellen vermag, welche Dynamik sie in ewiger Schreibtischtäterinnenpose zu entwickeln versteht. Dabei greift Wilson mit ihrer Figur die Ängste, die Sehnsüchte und die Überforderung auf, die uns in dieser Zeit bewegen. Charlotte, das sind wir alle.

Die Jury war bei der erneuten Sichtung auf der Sitzung im März 2021 erstaunt, dass die Serie auch ein knappes Jahr nach ihrer Entstehung noch immer unsere Covid-geplagten Seelen trifft. Das glückt vor allem auch durch die präzisen Dialoge der Autorin und Autoren, bei denen sich unter der schnellen Pointe oft der ganze Schrecken und die ganze Tragik unserer Zeit offenbaren.

„Drinnen“ ist ein Meisterstück in Sachen Minimalismus – noch nie zuvor ist es einer deutschen Produktion gelungen, derart kreativ und schlüssig die Werkzeuge des Büromenschen 3.0 in einer Erzählung zu bündeln. Das in unseren Tagen so viel beschworene Mobile Office wird zum originären Filmsetting, so wie es die Wüstenlandschaft in einem Western ist oder der Weltraum in einem Science-Fiction-Abenteuer. Die Möglichkeiten des Erzählens scheinen unendlich, auch aus der seelischen Beengtheit der Corona-Gegenwart heraus. Kleines Bildformat, große Fernsehkunst.

 
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