55. Grimme-Preis 2019

Hackerville (UFA Fiction/mobra films für HBO Europe/TNT Serie)

Grimme-Preis an

Jörg Winger (stellv. für den Writers Room)

Johnathan Young (stellv. für den Writers Room)

Igor Cobileanski  (Regie)

Anca Miruna Lazarescu (Regie)

Anna Schumacher (Darstellung)

Andi Vasluianu (Darstellung)

Silent Strike (Ioan Titu) (Musik)

 

Produktion: UFA Fiction, mobra films

Erstausstrahlung: TNT Serie, ab Donnerstag, 08.11.2018, 21.50 Uhr

Sendelänge: 6 Folgen, je 42 Min.


Inhalt

Lisa Metz (Anna Schumacher) ist Spezialistin für Internetkriminalität beim Bundeskriminalamt. Dort registriert man einen Aufsehen erregenden Hackerangriff auf eine Großbank, die Spur führt ins rumänische Timisoara. Der Hacker ist ein Programmier-Genie, aber er transferiert nur 9,99 Euro. Wer ist diese Person, die durch alle Sicherheitssysteme dringen kann? Um das herauszufinden, wird Lisa nach Rumänien geschickt, sicher auch, weil sie als Kind in Timisoara lebte. Sie soll mit dem rumänischen Kollegen Adam Sandor (Andi Vasluianu) zusammenarbeiten und bald zurückkehren. Doch dann wird ihnen klar, dass der Hacker ein 14-jähriger Junge ist (Voicu Dumitras). Cipis Ausnahmetalent ist auch einer Organisation aufgefallen, die Geld mit Cyberkriminalität macht. Sie versucht, das Kind zu kidnappen. Lisa und Adam können Cipi befreien, aber sie müssen ihn jetzt gegen mächtige Verbrecher schützen. Dabei entwickelt sich eine starke Anziehung zwischen Lisa und Adam, die sie mit cooler Flapsigkeit überspielen. Lisa handelt nun auf eigene Faust und entdeckt, so auf sich gestellt, ihre Erinnerung an die Stadt wieder - einen Teil von sich, der verloren gegangen war.

 

 

Stab

Buch: Ralph Martin, Jörg Winger, Laurentiu Rusescu, Daniel Sandu, Steve Bailie

Regie: Igor Cobileanski, Anca Miruna Lazarescu

Kamera: Tomasz Augustynek

Schnitt: Mihai Codleanu, Mircea Olteanu

Ton: Constantin Fleancu

Musik: Silent Strike (Ioan Titu), Marius Leftarache

Darstellung: Anna Schumacher, Andi Vasluianu, Calin Chirila, Dana Dembinski, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Sabin Tambrea, Voicu Dumitras, Ada Lupu, Vlad Brumaru, Ovidiu Schumacher, Florin Galan, Sorin Tofan, Ilie Dumitrescu Jr, Stefan Lupu, Emanuel Parvu, Pusa Darie, Lavinia Garbuio, Matilda Salomeea Costin, Lana Cooper u.a.

Produzenten: Christian Mungiu, Tudor Reu (mobra films), Jörg Winger, Ralph Martin (stellv. für UFA), Johnathan Young, Antony Root (stellv. für HBO Europe), Hannes Heyelmann, Anke Greifeneder (TNT Serie)

Redaktion: Anke Greifeneder, Christian Honeck, Kristina Peter, Silvia Popescu

 

Jurybegründung

Was für ein ungleicher Kampf! In Frankfurter Glastürmen versuchen sie hilflos, einem Kind Herr zu werden. Sie haben keine Chance. Das Kind sitzt in Timisoara in einem Internet-Café und lässt die Ampeln der Stadt verrücktspielen. Es lebt in einem Plattenbau mit seinem älteren Bruder, in dieser Stadt, in der Menschen auf unterschiedlich legale Art zu Reichtum kamen. Oder eben nicht: in derselben Stadt fährt der Polizist Adam (Andi Vasluianu) seine Töchter mit Blaulicht zur Schule und hält sich für unwiderstehlich. Adam benimmt sich insgesamt eher so, wie man es von unrasierten Kommissaren aus französischen Filmen kennt. Es ist diese Stadt, in der die Regisseurin Anca Miruna Lazarescu geboren wurde, die heute in München lebt. Hackerville steckt voller echter Biografien, das merkt man. Das betrifft auch die deutsche Schauspielerin Anna Schumacher, die in Bukarest geboren wurde. Niemand redet zu viel in dieser Serie und gerade das macht die Entwicklung von Lisa Metz so stark. Die deutsche Cyberfahnderin mit asketischen Essgewohnheiten lässt langsam zu, dass etwas zu ihr gehört, was ihr Vater von ihr fernhalten will - dieses ihr seltsam vertraute Timisoara, einer aus der Erfahrung der Diktatur ins Digitale Zeitalter holpernden Stadt.
Während große historische Fernsehproduktionen die deutsche Geschichte heute am Drehort Osteuropa nachstellen, ist Hackerville interessiert an der Gegenwart. Während im Fernsehen reihenweise deutsche Schauspieler als Einheimische verkleidet an tourismusträchtigen Orten ermitteln, mutet Hackerville dem Zuschauer die volle Dosis an Anderssein seines Schauplatzes zu - und zieht daraus eine Kraft, die sich im Soundtrack des rumänischen TripHop-Künstlers Silent Strike grandios verdichtet.
Es ist eine vom Cast bis zu den Autoren konsequent binationale Produktion und sie traut es sich tatsächlich, weite Teile der Handlung in Rumänisch mit deutschen Untertiteln zu zeigen. Erstaunlicherweise tut das der Spannung keinen Abbruch, sondern erweitert das Blickfeld – und gelegentlich auch den deutschen Humorbegriff. Und ja, Hackerville ist auch einfach eine spannende Jagd auf organisierte Cyberkriminalität in Osteuropa.
Vor allem aber ist Hackerville preiswürdig im Sinne des Grimme-Preises, denn es zeigt ein Osteuropa jenseits der Klischees von Armutsmigration und Rückständigkeit. Es beseitigt diese Klischees nicht mit den Mitteln der Didaktik, sondern mit denen des Unterhaltungsfernsehens. Die Serie stellt auch Fragen nach Zugehörigkeit, Identität, Heimat. Aber es stellt sie für eine digital weltweit vernetzte Gesellschaft, nicht vor dem Hintergrund rivalisierender Nationalitäten. Es sind Fragen aus Sicht einer heutigen Generation, die längst Zugang zur westlichen Welt hat und doch eine moderne osteuropäische Identität besitzt.

 
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