Zwischen Handwerk und Faktencheck

Screening und Diskussion der #Antisemitismusdoku „Auserwählt und ausgegrenzt“

V.l.n.r: Dr. Frauke Gerlach, René Martens, Marc Neugröschel, Moderator Volker Wieprecht, Jörg Schönenborn, Mirna Funk (verdeckt), Fritz Wolf. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut

„Qualität kann man nicht behaupten, man muss sie belegen und diskutieren,“ sagte Dr. Frauke Gerlach einleitend zur Diskussionsrunde am 22. Juni im Bonner Haus der Bildung zur umstrittenen Antisemitismusdokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa“. An der Diskussion nahmen neben der Grimme-Direktorin auch Fritz Wolf und René Martens, beide freie Journalisten, Medienkritiker und erfahrende Grimme-Preis-Juroren, Jörg Schönenborn, Fernsehdirektor des WDR, Marc Neugröschel, freier Journalist und Autor sowie Mirna Funk, Schriftstellerin und Journalistin teil. Die Moderation übernahm der Journalist und Radiomoderator Volker Wieprecht.

„Entscheidend und wichtig“, sei es, „dass es eine breitere Debatte“ über diese Dokumentation gebe, so Gerlach weiter. Sie wünsche sich eine konstruktive Auseinandersetzung, die zur Versachlichung beitrage, womit schon die Intention des Instituts abgesteckt war. Die Wahl der Örtlichkeiten fiel dabei nicht ohne Grund auf das Haus der Bildung, die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der VHS Bonn realisiert, an deren Spitze eine langjährige Grimme-Jurorin steht: Dr. Ingrid Schöll. 

Rund fünfzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden – am heißesten Tag der Woche – den Weg in den großen Saal. Schnell kam auch die Debatte unter den Podiumsteilnehmern auf „Temperatur“: „Dieser Film hätte aus handwerklicher Sicht keine Chance bei Grimme,“ so der Preis-Juror Fritz Wolf eingangs.

Problematisch sei aber auch die Haltung der Autoren: Der Film sei nicht „neugierig“, die Ergebnisse stünden von vornherein fest. Die Autoren der Doku wollten nichts erfahren, „sie wissen schon alles“, für Wolf eine „nicht akzeptable Arbeitsweise“. Trotz handwerklicher Mängel findet Jurorkollege Martens die Doku, aber trotzdem „unglaublich wichtig“, weil es an aktuellen Auseinandersetzungen mit dem Thema „Antisemitismus“ mangele. 

Die Hinweise im Laufband - mit Faktencheck im Netz unter doku-faktencheck.wdr.de – betrachtet er jedoch als „unglücklich“, die aus Sicht des WDR aber notwendig wurden, um ihn veröffentlichen zu können. Für Martens ein „befremdlicher Eingriff in die Freiheit der Autoren“. 

WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn verteidigte das Vorgehen seines Hauses, räumte aber auch ein: „So hätte dieser Film nicht abgenommen werden dürfen“. Er fühle sich „als Anwalt des Zuschauers“, sei letztlich mit der kommentierten und nachbearbeiteten Fassung aber nicht unbedingt glücklich. Hier konnten Martens und Wolf nur beipflichten. Die jetzt vorliegende Fassung mache den Film quasi „unsehbar“, so Wolf.

Und die Einschübe und „Fußnoten“ sind an vielen Stellen kritikwürdig, beklagte Marc Neugröschel. Er spricht von einem „falschen Faktencheck“, der seinerseits vollziehe, was der WDR dem Film vorwerfe. Dabei leiste der Film Außerordentliches, Vergleichbares sei bisher „so nicht gezeigt worden“, so Neugröschel. Für ihn ein „einzigartiger, wertvoller Film“, der uns eben mit einer „unbequemen“ Realität konfrontiere.  

In der Tat liefere der Film „eine Wahrheit mit, die die Zuschauer annehmen sollten“, so Mirna Funk. Viele Fragen seien im Film aber nicht gestellt worden, z.B. „wie erleben Juden in Deutschland Antisemitismus?“ Daneben mache ihr die Einseitigkeit zu schaffen, müsse es doch für sie darum gehen, „dass der Zuschauer die Möglichkeit hat, sich ein eigenes Bild zu machen“. 

Egal wie: Der Streit um den Film, hätte auch etwas Positives, war sich die Runde einig, selten wurde über das Thema Dokumentarfilm intensiver diskutiert. Dies sorge aber auch für Verunsicherung. Funk wünsche sich, „dass Filmemacher keine Angst haben, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“. 

Weitere Informationen
 
Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
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