52. Grimme-Preis 2016

Jan Böhmermann

Jan Böhmermann hat mit seinen ZDF-Sendungen wie dem „Neo Magazin“, dem Talk „Roche und Böhmermann“ und aktuell dem „Neo Magazin Royale“ oder „Schulz und Böhmermann“ Maßstäbe für die kritisch-selbstironische Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt gesetzt. Schon als er vor einigen Jahren zum Ensemble der damals im Ersten ausgestrahlten Show „Harald Schmidt“ gehörte, nahm er gemeinsam mit Klaas Heufer-Umlauf auch die ARD aufs Korn. Bei dieser kritischen Distanz ist es geblieben.
Kein Respekt vor niemandem, könnte man das nennen, mit Ausnahme des Publikums. Und dem darf bei allem Spaß mindestens jeder zweite Lacher im Halse stecken bleiben, was ja zum Nachdenken anregen soll. Nicht im schwer pädagogischen Sinne, er verstehe es nicht als seinen „Job, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs zu leisten“, sagt Böhmermann im „Grimme“-Interview. Und gerade weil er so unverkrampft auch mitten da hinein geht, wo es wehtut, und das eigene Scheitern immer eine reale Option ist, gelingt ihm das mit dem gesellschaftlichen Diskurs – spielend. Er selbst nennt das bescheiden „etwas, auf dessen erster Ebene man sich gut unterhalten fühlt und auf der zweiten Ebene irgendwas mehr mitnimmt“. Satire bedeutet dabei für ihn, das tägliche Geschehen offen zu kommentieren, mit Illusionen zu spielen und Diskussionen anzuheizen. Sein erklärtes Ziel ist es, Inhalte nicht bloß gedankenlos zu konsumieren; die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen sich im Idealfall nachhaltig mit der Thematik beschäftigen. Man könnte so einen Ansatz volksbildend nennen.

Böhmermann packt dann in eine einzige Ausgabe seines „Neo Magazins Royale“ neben Stand-Up-Comedy, musikalischen Gastauftritten und einem „Durch-den-Kakao-Ziehen“ des ZDF-Wunsches nach Crosspromotion für andere Formate locker noch aufreizend aufklärerische Spiele. Zum Beispiel darüber, was es für absurde Folgen haben kann, wenn man zu viel über sich selbst im Netz preisgibt: Dann tritt als „Identity theft“ eben ein Schauspieler auf, der schon fast man selbst sein könnte. Aktuell geht es fast immer um den politischen Wandel in Deutschland, ob mit einem AfD-Song, für den sich das „Neo Magazin Royale“ ganz schwarzweiß ins „Zweite Deutsche Reichsfernsehen“ zeitversetzt. Oder mit der Internet-Plattform du-fuer-deutschland.de, auf der sich jeder aus Phrasen à la „Die Außengrenzen müssen wieder innen liegen“ ein Plakat für die persiflierende Kampagne „Du für Deutschland“ basteln kann.

Im vergangenen Jahr zeigte Böhmermann auf dem Höhepunkt der allgemeinen „Griechenland und die Finanzkrise“-Aufgeregtheit gewissermaßenallen den medialen „Stinkefinger“. Der Fingerzeig des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis gegenüber der deutschen Kanzlerin sei ein Fake, sein Fake, gewesen, behauptete Böhmermann kurzentschlossen und entlarvte damit Unsicherheiten, Kurzschlüsse und Überheblichkeiten des Mediensystems. Wer auf SpiegelOnline solche Überschriften wie „ZDF stellt klar: Böhmermann-Sendungist Satire“ provoziert, wird in diesem Jahr für „#Varoufake“ deshalb auch mit einem Grimme-Preis geehrt – in der Kategorie Unterhaltung, die bei Grimme auch immer eine zweite Ebene hat.
Doch Böhmermann ist längst nicht nur Satiriker. In seinen Sendungenzeigt Böhmermann auch, wie das Fernsehen der Zukunft aussehenund funktionieren kann, ohne dessen Qualitätsmaßstäbe zu verraten. Sein Schaffen erstreckt sich über alle Mediengattungen und nutzt die Chancen der digitalen Konvergenz. Dabei steht bei ihm stets der Inhalt im Vordergrund. Damit ist er im klassischen Sinne aufklärerisch, authentischund dem Bildungsauftrag der Medien verpflichtet. Wie keinZweiter erreicht er über die Vielzahl der Ausspielkanäle vom linearenTV-Programm bis zur Webshow auch die jungen Zielgruppen, die für das klassische Fernsehen schon als verloren gelten. Allein eine halbe Million Menschen verfolgen seine Kommentare und Gedanken zu politischen und gesellschaftlichen Themen oder teilweise auch einfach unterhaltende Inhalte auf Facebook.

Böhmermann ist Stand-Up-Comedian, Late-Night-Talker, TV-Autor, Sänger, Conférencier – ein echtes Multitalent. Begonnen hat er als Journalist bei einer Tageszeitung in seiner Heimatstadt Bremen. Böhmermann ist zudem Gesellschafter der bild und tonfabrik (btf) in Köln, die seine Sendungen produziert. Und die auch darüber hinaus – wie 2015 mit dem Grimme-Preis für „Mr. Dicks – Das erste wirklich subjektive Gesellschaftsmagazin“ bewiesen – zum Kreativsten gehört, was die deutsche TV-Branche aktuell zu bieten hat.
Aber kann jemand, der mit seinem Schaffen noch nicht einmal im Hauptprogramm seiner Senderfamilie angelandet ist, die Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV) beim Grimme-Preis bekommen? Jan Böhmermann kann. Und das liegt nicht daran, dass er bei seinen Auftritten stets gediegen im Anzug und zumeist sogar mit Krawatte erscheint, sondern weil er sich schon heute um das Medium Fernsehen und vor allem seine Zukunft verdient gemacht hat. Die Besondere Ehrung war nie nur ein Preis fürs Lebenswerk, für in höchsten Ehren Vertrautes, Etabliertes, Gesetztes. Es hieße aber auch, die Besondere Ehrung misszuverstehen, wenn man sie als einen Preis für das Schaffen auf dem Höhepunkt, eine Art leise zweifelndes „Da kommt vielleicht nicht mehr allzu viel“ interpretieren würde. Ganz im Gegenteil: Jan Böhmermann ist ganz sicher noch nicht am Ende seiner Kreativität angelangt; lässt man ihn seine Ideen verfolgen, wirder noch viele spannende neue Formate entwickeln, die den Puls der Zeit treffen. Dabei ist Böhmermann nie kalkulierbar – das macht ihn spannend, innovativ und für die großen Programme vielleicht noch ein bisschen furchteinflößend.
Der DVV setzt mit der Besonderen Ehrung für Jan Böhmermann ein Signal – für eine offene, mutige mediale Zukunft, in der Information, Aufklärung und Unterhaltung gleichberechtigt und auf allen Kanälen und Ausspielwegen miteinander verwoben ihren Platz haben. Für eine mediale Zukunft, in der große und kleine Sender, Altes und Neues, das Netz und seine Facetten nicht mehr nach etablierten Rangfolgen nachgeordnet, sondern konvergent und gleichzeitig sind. Für eine mediale Zukunft, in der Macherinnen und Macher mit Nutzerinnen und Nutzern auf Augenhöhe dialogisch verhandeln, was relevant und gesellschaftlich wichtig ist. Mit heiligem Ernst – aber auch diebischem Spaß. In dieser Welt, in der Albernheit und Aufklärung zusammengerückt sind, wird Jan Böhmermann mutig am Ball bleiben: „Das Altwerden in der eigenen Sendung“, hat er schon vor einigen Jahren im Interview gesagt, „ist auf jeden Fall ein erstrebenswerter Zustand.“

 
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