47. Grimme-Preis 2011

In aller Stille (BR)

PreisträgerInnen

Buch: Ariela Bogenberger
Regie:
Rainer Kaufmann

Darstellung:
Nina Kunzendorf

Produktion: Sperl + Schott Film, Dr. Gabriela Sperl, Sophie von Uslar

Erstausstrahlung: Freitag, 3.11.2010, 2015 Uhr

Sendelänge: 90 Min

Inhalt

Die frisch geschiedene Polizistin Anja wird eines Nachts zu einer Familie gerufen. Der Vorwurf einer Nachbarin: Max, das kleine Kind der Familie musste für Stunden in der Kälte im Garten stehen. Anja wagt im entscheidenden Moment nicht nachzuschauen, ob Max Spuren körperlicher Misshandlungen zeigt. Einige Tage später verschwindet der Junge.

Begründung der Jury

Ein dreijähriger Junge verschwindet. Nachts sei er weggelaufen, sagen die Eltern. Glauben können die Ermittler in einer Bayerischen Gemeinde das nicht. Da ist die Nachbarin, welche die Kommissare unlängst gerufen hatte, weil das Kind wohl im Stockdunklen stundenlang im Hemd auf der Terrasse stand. Da ist die Mutter, die anscheinend gewohnheitsmäßig über den Durst trinkt. Und der Vater, der rüde Erziehungsmethoden gesteht, sie aber mit notwendiger Strenge aus Liebe rechtfertigt. Reicht das aus für den Verdacht der Kindesmisshandlung, gar -tötung? „Die sind nicht grad´ nett, aber ganz normal“, befindet die Kommissarin. Um von eigenem Versagen abzulenken? Als man nachts bei der Familie nach dem Rechten sah, hatte sie selbst eben nicht nach dem Rechten geschaut, nicht nach blauen Flecken oder anderen Spuren.

„In aller Stille“ handelt vom Wegsehen im Allgemeinen und von Gewalt gegen Kinder im ganz Besonderen. Darüber hinaus zeigt der Film – mit der Kommissarin Anja Amberger, herausragend verkörpert von Nina Kunzendorf – eine anfangs herzenskühle Frauenfigur, die schreckliche Kindheitserfahrungen verdrängt, um zu überleben. Sie ist überfordert, steht unter großem Druck – nicht nur beruflich, sondern eben auch privat als Mutter. Aber sie ist auch eine professionelle Spurenleserin.

Autorin Ariela Bogenberger und Regisseur Rainer Kaufmann erzählen mit der subtil verschränkenden und bespiegelnden Parallelhandlung die Geschichte einer doppelten Spurensuche. Nicht ein, sondern zwei Kinder werden in diesem verstörenden Film vermisst und auch wiederentdeckt. In beiden Fällen geht es um Mord. Im Fall des kleinen Max um die physische Vernichtung eines Kindes, das der Vater beseitigt hat wie Müll. Im Fall der Kommissarin um lang zurückliegenden Seelenmord mit anschließendem Weiterleben. Die Aufklärung beider Fälle – großartig genau vom Ensemble gespielt – vollzieht sich in Bildern und Szenen, die Verstand und Vernunft des Zuschauers stärker in Bewegung setzen als sein Gefühl.

Damit gelingt dem klug inszenierten Film neben der fiktionalen Aufklärung eines gesellschaftlich überaus brisanten Themas ein weiteres Kunststück. Denn obwohl Fernsehen gern als Medium der Emotionalität und fortlaufenden Erregung angesehen wird, setzt „In aller Stille“ vor allem auf die Klarheit des Denkens als Voraussetzung verantwortlichen Handelns. Gefordert wird Haltung – mindestens aber Mut zum Hinschauen. Wir sehen: Fernsehen geht auch anders. So genau und genau so.

 
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