46. Grimme-Preis 2010

Alexander Kluge

Die Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes für Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens wird vergeben an: 

Alexander Kluge

Besondere Ehrung des DVV für Alexander Kluge

Er sei ein filmischer Seismograph, ein Kartograph des Zustands unseres Landes, der so etwas wie emotionale und kulturelle Archäologie betreibe: So beschrieb der Filmemacher Tom Tykwer den Filmemacher Alexander Kluge in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises der Deutschen Filmakademie vor zwei Jahren.

Den Fernsehmacher Kluge nennt Tykwer ein mediales Gegengift in der quotenhysterischen Privatfernsehwelt. Er setze Gedanke gegen Narkose, Vermutung gegen Setzung und Hinterfragung gegen Behauptung.

Mitte der 1960er Jahre wurde Kluge bekannt als einflussreicher Vertreter des Neuen Deutschen Films. Begonnen hatte sein beruflicher Werdegang aber mit einer anderen Ausrichtung.

1932 in Halberstadt geboren und später in Berlin aufgewachsen, studierte Alexander Kluge zunächst Rechtswissenschaften, Geschichte und Kirchenmusik in Freiburg, Marburg und Frankfurt/Main. Er promovierte zum Thema „Die Universitäts-Selbstverwaltung“ und ließ sich als Rechtsanwalt in Berlin, später in München nieder. Schon bald kam er durch ein Volontariat bei der Berliner Filmproduktion CCC zum Kino. Er war Assistent von Fritz Lang und drehte 1960 seine ersten Kurzfilme.

Zwei Jahre später war er Mitinitiator des „Oberhausener Manifestes“, in dem die Abkehr vom alten deutschen Film gefordert wurde. Zusammen mit Edgar Reitz und Detten Schleiermacher übernahm er die Leitung des Instituts für Filmgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Ulm und gründete seine Produktionsfirma „Kairos-Film“. Der viel beachtete Spielfilm „Abschied von gestern“ (1966) und weitere Werke wie „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ (1968) machten ihn aus Kritikersicht zum Vordenker des deutschen Autorenkinos. Kluge drehte in der Folge zahlreiche, teils essayistische Filme und interessierte sich zunehmend für Kooperationen mit anderen Regisseuren und Kollektivprojekte. Für sein „Rätsel-Kino“, wie die „Zeit“ es einmal formulierte, gab es auch Kritik, Lob hingegen für sein Engagement für die Filmkunst. So setzte sich Kluge früh für die deutsche Filmförderung ein, die 1974 gesetzlich verankert wurde und der Kluge später kritisch gegenüberstand, und trieb eine enge Zusammenarbeit des Kinos mit dem Fernsehen voran.

Seit den frühen 1960ern tritt Kluge auch literarisch in Erscheinung. Er veröffentlichte zahlreiche Arbeiten, auch zusammen mit dem Soziologen Oskar Negt, und gilt als Autorität auf dem Gebiet der Film- und Medientheorie. Hinzu kommt eine umfangreiche Sammlung etwa von Essays und Kurzgeschichten.

Mit seiner Idee des „Herausgeber-Fernsehens“ schuf Kluge als TV-Produzent Raum für unabhängige Programme im Privatfernsehen. Zusammen mit der japanischen Werbeagentur Dentsu und dem Hamburger „Spiegel“-Verlag gründete er die Produktionsfirma „Development Company for Television Programs“, kurz DCTP. Mit einer eigenen nordrhein-westfälischen Sendelizenz ausgestattet, gingen im Mai 1988 erste Programme bei RTL und Sat.1 auf Sendung. DCTP produziert Kulturmagazine wie „Prime Time / Spätausgabe“ und „10 vor 11 / Ten to Eleven“. Weitere Formate sind „News & Stories“, „Spiegel TV“-Magazin und –Reportage und „sternTV“. 1993 beteiligte sich DCTP auch am neuen Sender VOX, der jedoch mit seinem ursprünglichen Konzept schnell in eine Krise geriet, aus der ihn DCTP mit einem Notprogramm wieder herausführte.

Weil sich Kluges Kulturmagazine nicht den quotenorientierten Gesetzen des Privatfernsehens unterwerfen, gab es von den Sendern immer wieder scharfe Kritik. So bezeichnete Ex-RTL-Chef Helmut Thoma diese Programme 1996 in einem Interview mit der „Welt“ als „Zwölftonmusik im Zirkus“ und „Quotenkiller“. Auf seiner Homepage setzt Kluge dem entgegen, sein Ziel sei es, „das Fernsehen offen zu halten für das, was außerhalb des Fernsehens stattfindet“.

Für sein filmisches und literarisches Schaffen erhielt Kluge zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, darunter mehrere Filmbänder in Gold und Silber, den Silbernen und Goldenen Löwen, den 1. Preis der Oberhausener Kurzfilmtage, den FIPRESCI-Preis, den Adolf-Grimme-Preis, den Berliner Kunstpreis Junge Generation, den Bayerischen Staatspreis für Literatur, den Kleist-Preis, den Heinrich-Böll-Preis, den Ricarda-Huch-Preis, den Schiller-Preis, den Georg-Büchner-Preis und das Große Bundesverdienstkreuz. Er ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums, der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Alexander Kluge - Begründung des Stifters

Unverwechselbar, vielseitig und einzigartig in der Medienlandschaft: Das ist Alexander Kluge. Kaum eine Facette der Welt und der Wirklichkeiten, des schönen und des bösen Scheins, der Künste, der Konstrukte und der gesellschaftlichen Geschäftigkeiten, die er nicht bearbeitet hätte. Kaum eine mediale Form, die er nicht für sich genutzt, umgearbeitet und strategisch eingesetzt hätte. Wenn er – inzwischen sprichwörtlich – die Oper als Kraftwerk der Gefühle bezeichnet hat, so ist Alexander Kluge selbst der Generator eines umfassenden Welt- und Selbstverständnisses durch Sammeln und Darstellen aller Arten von Begebenheiten und Geschehnissen, durch nachsinnendes Einordnen, durch eine imaginationsstarke Montage auch entlegener oder kurioser Dinge und Einsichten.

Mit einem schier unerschöpflichen Reichtum an Kenntnissen, Erinnerungsstücken und Nachdenklichkeiten vermisst, erklärt und deutet er die Phänomene des Lebens und der menschlichen Möglichkeiten. Dabei entwirft er – erzählend und berichtend, montierend und reflektierend -- in Büchern, Kinofilmen, Fernsehsendungen eine immer wieder staunenswerte Landkarte der Erfahrungen und der offenen Horizonte, verbunden durch ein schwebendes Netzwerk von Beobachtungen, Einsichten und Assoziationen. Viele seiner denkwürdigen Titel und Sentenzen sind sprichwörtlich geworden, so jener vom „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“.

Zum Einzigartigen gerade auch seiner Fernseharbeit gehört, dass Alexander Kluge gleich­zeitig ein so versierter wie auch listiger und umsichtiger Netzwerker ist, der seine gedank­lichen Bezugskräfte nachdrücklich und nachhaltig in mediale Wirklichkeiten verwandelt. Das vielleicht Erstaunlichste ist dabei, dass er einem scheinbar festgefügten deutschen Fernseh­system mit wacher Energie und samtig eingekleideter Beharrlichkeit eine Neben- und Gegen­welt abtrotzen konnte, die er in mehr als zwei Jahrzehnten organisiert und etabliert hat, auch im unternehmerischen Sinn. Von Kommerzfixierten als „Quotenkiller“ geschmäht, von Denk-Bewussten als phantasievolle Instrumente der Aufklärung gelobt, entwickelte er Fernseh­programme als eigenständige „Fenster“ im Privatfernsehen. Eine Marke wie „Spiegel TV“ hat dort ebenso ihren Platz wie Kulturmagazine unter so offenen Titeln wie „10 vor 11“ oder „News & Stories“, deren Beiträge so eigen wie eigenständig sind, getragen und geprägt nicht zuletzt vom suggestiven Kluge-„Sound“ („ja!?“).

Mit Alexander Kluge spricht der Deutsche Volkshochschul-Verband seine Besondere Ehrung einem unermüdlichen Sinn-Arbeiter zu, der mit einer immer wieder neuen Collage von Geschichten, Gesprächen, Bildern, Reflexionen, Anspielungen und Verknüpfungen einen ebenso eigensinnigen wie faszinierenden medialen Kosmos schafft, der als fortwährender Essay zu verstehen ist. Mit seinem tiefgehenden und facettenreichen Verständnis eines lebenslangen – und lustvollen -- Lernens wertet Alexander Kluge das von laufender Selbstent­wertung bedrohte Alltagsmedium Fernsehen in überraschender und beglückender Weise auf.

 
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