54. Grimme-Preis 2018

Dark (Netflix)

Grimme-Preis an

 

Jantje Friese (Buch)

Baran bo Odar (Regie)

Udo Kramer (Production Design)

Simone Bär (Casting)

Angela Winkler (Darstellung)

Louis Hofmann (Darstellung)

Oliver Masucci (Darstellung)

 

Produktion: Netflix, Wiedemann & Berg Television

Erstveröffentlichung: Netflix, Freitag, 01.12.2017, 00.00 Uhr

Sendelänge: 10 Folgen in 1 Staffel á 45 Minuten

 

Inhalt

November 2019: Nach dem Verschwinden zweier Jungen herrschen Ratlosigkeit und Verunsicherung in der Kleinstadt Winden. Kommissarin Charlotte Doppler (Karoline Eichhorn) und ihr Kollege Ulrich Nielsen (Oliver Masucci) tappen bei ihrer Suche nach Antworten auf die mysteriösen Vorgänge buchstäblich im Dunkeln. Statt auf eine heiße Spur stoßen sie auf die Leiche eines unbekannten Jungen mit verblendeten Augen und im Anti-Atomkraft-Pullover. Damit nicht genug: Nachts fallen plötzlich tote Vögel vom Himmel, Schafe verenden auf der Weide und ein dritter Junge verschwindet ebenfalls spurlos. Die Puzzleteile passen nicht zusammen. Bis dem Teenager Jonas Kahnwald (Louis Hofmann) der Abschiedsbrief seines Vaters in die Hände fällt und er die Tragweite der Ereignisse erahnt. Getrieben von seinen Ängsten erkundet Jonas die düstere, tief im Wald verborgene Höhle und entdeckt ein Tor in das Jahr 1986. Unerbittlich ereilt ihn die Erkenntnis, dass er diesen Übergang nicht als Erster, ja sogar schon selbst durchquert hat.

 

Stab

Showrunner: Baran bo Odar und Jantje Friese

Produzenten: Baran bo Odar, Jantje Friese, Quirin Berg, Max Wiedemann, Justyna Müsch, Kelly Luegenbiehl, Amanda Krentzman, Erik Barmack

Buch: Jantje Friese, Martin Behnke, Ronny Schalk, Marc O. Seng

Regie: Baran Bo Odar

Kamera: Nikolaus Summerer

Schnitt: Robert Rzesacz, Denis Bachter, Anja Siemens, Sven Budelmann

Ton: Matthias Richter, Alexander Wuerz, Ansgar Frerich

Darsteller: Louis Hofmann, Oliver Masucci, Jördis Triebel, Karoline Eichhorn, Maja Schöne, Andreas Pietschmann, Mark Waschke,  Stephan Kampwirth, Anne Ratte-Polle, Angela Winkler, Michael Mendl, Anatole Taubman, Antje Traue, Lisa Vicari, Lea van Acken, u.v.m.

 

Jurybegründung

Die existentiellen Verstrickungen von fünf Familien auf verschiedenen Zeitebenen inszenieren Jantje Friese (Buch) und Baran bo Odar (Buch/Regie) im Gewand einer farbentsättigten Sci-Fi-Mystery-Geschichte. Das Duo und ihr Team können sich bestimmt nichts Geringeres vorgenommen haben, als mit der Serie „Dark“ neue Produktionsstandards in der weltweiten Serien-Landschaft zu etablieren und Binge-Watchern ungewohnte Seherlebnisse zu bescheren. Denn sie collagieren den lokal verankerten Plot mit einer weltläufigen Mixtur aus opulenten Bildern, vertracktem Storytelling und dröhnenden Synthie-Sounds. Subtil ist hier allem Anschein nach gar nichts. Aber warum nicht reuelos aus dem Vollen schöpfen – auf dem Rücken deutscher Düsternis!

Der Zeitreise-Topos eignet sich bekanntlich bestens, um komplexe Erzählstrukturen zu entwickeln. Jantje und Odar bauen dafür die Regel ein, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig existieren. Sie erschaffen plausible Paralleluniversen in den Jahren 1953, 1986, 2019 und 2057 und etablieren diese Handlungsräume in drohender Atmosphäre und mit nerdiger Detailverliebtheit. Es werden Zitate aus anderen Geschichten mit dystopischem Ansatz wie selbstverständlich mit der nötigen Chuzpe eingearbeitet. Vorbilder? Schon mal was von künstlerischer Aneignung gehört? Ob die gespenstische Höhle im Wald, das Kernkraftwerk vor grauem Himmel oder der leuchtend gelbe Regenmantel: In „Dark“ fügen sich Motive, Orte und Requisiten zu Bildern mit großer Signalwirkung zusammen, und diese nisten sich im visuellen Gedächtnis ein. Die Szenenbilder und das Produktionsdesign von Udo Kramer überzeugen in allen zehn Folgen dieser ersten Staffel.

Mit dieser Bildwelt konstruieren die Showrunner die Bühne für ihr enormes Ensemble. Die Besetzung ist hervorragend aufeinander abgestimmt (Casting: Simone Bär) und das so zustande kommende Potential ist mit Sicherheit noch nicht ausgeschöpft. Faszinierend ist es, den Figuren bei ihrem Mienenspiel zu folgen und sie in den unterschiedlichen Altersstadien zu beobachten. Gemäß der Mehrwellentheorie können hier die Alter Egos einer Figur aufeinandertreffen und gleich selbst miteinander ins Gericht gehen, sich fragend: „What would you do if you knew the future?“. Besonders bemerkenswert ist, wie Angela Winkler, Oliver Masucci und Louis Hofmann – stellvertretend für den gesamten Cast – auch drei Generationen Schauspielkunst repräsentieren und mit ihrem Spiel dann doch subtilen, nämlich den zwischenmenschlichen, Horror erzeugen.

Dass die zugrunde liegende nicht-lineare Kausalität der Ereignisse dieser Geschichte mitunter auch Schwierigkeiten in der Logik der zeitversetzten Erzählstränge provoziert und damit nicht nur auf fiktionaler Ebene zu Paradoxien führt – geschenkt. Zu fantastisch ist es, dem Netzbau aus Schuld, Schauder und Scharlatanerie zu folgen. Und so bleibt zu hoffen, dass die Halbwertzeit dieser Serie noch nicht begonnen hat.

 
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