52. Grimme-Preis 2016

Schorsch Aigner - Der Mann, der Franz Beckenbauer war (WDR)

Grimme-Preis an

Marcus Foag (Produktion)

Olli Dittrich (Buch/Regie)

Tom Theunissen (Buch/Regie)

Produktion: beckground tv + Filmproduktion

Erstausstrahlung: Donnerstag, 04.06.2015, 23:30 Uhr, DasErste

Sendelänge: 29’

Stab

Buch/Regie: Olli Dittrich, Tom Theunissen

Kamera: Paul Väthröder, Andreas Wolf'

Schnitt: Frank Tschöke

Ton: David Doerre

Producer: Marcus Foag

Redaktion: Carsten Wiese

Inhalt

Oft hat man sich gefragt, wie dieser Franz Beckenbauer das alles schafft, diese vielen Reisen, diese Erfolge, diese Omnipotenz. Heute hier, morgen dort. Die Mockumentary „Schorsch Aigner – der Mann, der Franz Beckenbauer war“ liefert eine plausible Erklärung. Beckenbauer hatte einen Doppelgänger, einen, der nicht nur aussah wie er, sondern einen, der sich auch zu verhalten und zu sprechen wusste wie der Kaiser. Diesen Doppelgänger namens Schorsch Aigner haben die Macher dieser Pseudo-Doku aufgespürt, und sie lassen ihn erzählen, wie das damals war auf dem Spielfeld, im Studio, bei den Interviews.

Der Doppelgänger wird gespielt von Olli Dittrich. Dittrich ist Schorsch Aigner. Er lebt das zweite Leben des Kaisers. Belegt wird das mit originalen Filmausschnitten aus den Archiven der Fußballgeschichte, die fein eingeflochten werden in die Erzählungen des Schorsch Aigner. 
Es ist ein Spiel mit vielen Ebenen. Zum einen ist da die Realität des Franz Beckenbauer, dann die des Schorsch Aigner, der Beckenbauer doubelt, und schließlich liefert Olli Dittrich noch so etwas wie eine Metaebene, auf der sich alles so gründlich ineinander verschiebt, bis man nicht mehr weiß, was man glauben soll.

Vordergründig mag das als Parodie durchgehen, aber in Wahrheit ist es viel mehr. Es geht darum, dem Zuschauer etwas weiszumachen, und ihm danach zu erklären, dass das, was man ihm gerade gezeigt hat, nicht ganz den vordergründig wahren Fakten entspricht, die wahren Verhältnisse aber viel besser spiegelt. 
Es ist Fernsehen im Fernsehen, lebendige Medienkritik, die mit den Mitteln der Täuschung die Wahrheit aus dem Sumpf des Ungefähren hebt.

Begründung der Jury

Eigentlich ist Olli Dittrichs Schorsch-Aigner-Beitrag in der Kategorie Unterhaltung völlig fehlplatziert. Was Dittrich hier betreibt, hat mit der üblichen Erträglichmachung des Fernsehprogramms durch Scherzmittel aller Art nichts mehr zu tun. Das hier ist keine Lieferung aus der Witzfabrik, das ist lupenreiner Journalismus. Dittrich zeigt die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie sie so oft gezeigt werden. Dittrich gräbt nach der Wahrheit unter dem schönen Schein. Es geht ihm um brutalstmögliche Kenntlichmachung dessen, was ist. Nie übertreibt Dittrich, nie setzt er einen drauf, wo es nichts draufzusetzen gibt. Er schaut auf die Dinge, wie jeder auf die Dinge schauen kann. Dann kopiert er sie eins zu eins, aber er verschiebt dabei ganz leicht die Perspektive, und auf einmal entlarvt sich alles, was zu entlarven wäre, ganz von alleine. Dittrich spielt so perfekt mit Realitäten, dass diese bei so manchem Zuschauer verschwimmen. Er parodiert nicht das, was ist. Er bildet es erst einmal mit sehr großer Ernsthaftigkeit ab. Präzision ist bei so etwas enorm wichtig. Jedes Detail muss stimmen, jede Bewegung glaubhaft wirken und jeder Satz sitzen. So etwas erfordert absolute Genauigkeit bis hinein ins Penible. Dittrich und seine Mannschaft können das mit der Präzision. Sie geben sich nicht mit dem Erstbesten zufrieden. Sie probieren so lange, bis alles so aussieht, als müsse es zwingend so sein. Nicht jeder Zuschauer dürfte verstanden haben, was ihm hier geboten wurde. So mancher wird nunmehr annehmen, dass Franz Beckenbauer wirklich diesen Doppelgänger namens Schorsch Aigner hatte und hat. Ein schöneres Kompliment kann man einem wie Olli Dittrich wahrscheinlich kaum machen. Seine Figuren lösen sich vom Spieler, sie gehen auf in einem neuen Bild des Seins jenseits des Scheins. So etwas im Fernsehen dieser Tage zu schaffen, ist große Kunst. Es gegen alle Widerstände eines Mediums, das immer häufiger auf den Instant-Erfolg setzt, durchzudrücken, ist die vielleicht noch größere Kunst. Olli Dittrich ist ein großer Illusionist, ein Houdini des Mediengeschäfts. Er kennt die Mechanismen der Branche, und er hebelt sie aus. Er führt jene vor, die stets auf den schnellen Erfolg schielen, und er belohnt jene, die mit ihm Geduld haben. Man wird die Geschichte von Franz Beckenbauer dereinst wohl kaum noch erzählen können ohne den Verweis auf dieses Schorsch-Aigner-Stück. Damit ist Olli Dittrich ein Platz in den Geschichtsbüchern jetzt schon sicher. Er hat das verdient, weil er nie aufgegeben hat, auch wenn ihm von mancher Seite der Wind so eisig um die Nase blies, dass jeder andere seine Sachen gepackt hätte. Schorsch Aigner ist schon jetzt so etwas wie ein Denkmal, ein Denkmal, das zur Fernsehgeschichte gehört, ein Denkmal, das zeigt, was geht, wenn man denn will und kann. Olli Dittrich kann.

 
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