45. Grimme-Preis 2009

Sonbol – Ralley durch den Gottesstaat (SWR)

Adolf-Grimme-Preis an

Niko Apel (Buch/Regie)

Produktion: Sommerhaus Filmproduktion

Stab

Produktion: Sommerhaus Filmproduktion, Jochen Laube

Buch/Regie: Niko Apel

Kamera: Beate Maria Scherer

Schnitt: Ben von Grafenstein

Musik: Axel Wolf

Redaktion: Gudrun Hanke El-Ghomri (SWR)

Erstausstrahlung: Montag, 22.9.2008, 23.15 Uhr

Sendelänge: 60 Min.

Inhaltsangabe

 Szenenfoto: Sonbol - Ralley durch den Gottesstaat; Foto: Beate Maria SchererSonbol hat Tränen in den Augen, wenn sie erzählt: ... Nein, die Liebe spiele keine Rolle mehr in ihrem Leben, und eigene Kinder wolle sie nicht, sie habe ja schon ihre zwei Schwestern groß gezogen... Die 35-jährige Iranerin lebt nach tiefen Verletzungen ihr eigenes Leben gegen viele Regeln ihres Landes. Sonbol ist Zahnärztin. Ihr Mann, den sie vor der Hochzeit kaum kannte, hat sich von ihr scheiden lassen, weil sie eine Party besucht hat, auf der auch Alkohol getrunken wurde. Dafür wurde Sonbol verhaftet. Jetzt rebelliert sie, ist in den Augen ihrer Familie eine schlechte Frau. Sonbol diskutiert, streitet trotzig mit ihrer Mutter, erzählt für ihr Leben gern schlüpfrige Witze, um zu provozieren ... eine junge moderne Frau, die tief verwurzelt in ihrer Religion dennoch einen großen Traum hat: sie will einmal bei einer Rallye mitfahren und einen guten Platz belegen. Dafür trainiert sie in jeder freien Minute, auch wenn sie befürchten muss, dass wieder einmal kurzfristig ein Startverbot für Frauen verhängt wird. Ihre Eltern sehen mit Sorge, wie Sonbol lebt. Es werde wohl Generationen brauchen, bis sich das Denken in ihrem Land ändere, räumt Sonbol ein, die selbst bei allem, was sie tut, fest auf Gott vertraut. Ihre größte Angst sei es, so sagt sie, irgendwann festzustellen, dass sie sich in Gott geirrt habe. – Der Film, der ohne jeden Off-Text auskommt, begleitet Sonbol durch ihren Alltag und gibt einen menschlichen Einblick in das heutige Leben im Iran.

Begründung der JurySzenenfoto: Sonbol - Ralley durch den Gottesstaat; Foto: Beate Maria Scherer

Sonbol – das ist die 35-jährige Zahnärztin, die eine dicke Lippe riskiert und schmutzige Witze nicht nur im trauten Familienkreis erzählt. Und die den Traum nicht aufgibt, an einer Rallye teilnehmen zu dürfen, mitten im Iran. Selten gelingen einem Film solche Einblicke in den modernen Iran; und damit in eine fremde, in der aktuellen Berichterstattung (über Mullahs, Provokationen des Präsidenten und seine Atomprogramme) fast immer ausgeklammerte Welt.

Doch hier nimmt er plötzlich Gestalt an, der iranische Mittelstand. Aufgeklärt und verkörpert durch eine moderne, kluge Frau. Sie ist studiert und privilegiert – aber dennoch dem heutigen Iran ganz im Wortsinne verhaftet. Auch Sonbol hatte gegen die eigene Überzeugung auf Vorschlag der Eltern geheiratet, um in die USA gehen zu können. Aber wenige Wochen vor der Reise wird sie festgenommen, weil sie auf einer Party war, wo angeblich Alkohol getrunken wurde. Sonbol sitzt im Gefängnis, das Visum für die Vereinigten Staaten verfällt, ihr Mann lässt sich scheiden: Schuld ist im diktatorischen Gottesstaat immer die Frau.

Doch verzichtet Niko Apels Film auf jeden Gestus der Anklage, auf jegliche Schwarz-Weiß-Malerei. Er lässt allein seine Charaktere sprechen. Das schafft Eindruck genug und gelingt spürbar authentisch. Sonbol, ihre Kollegin aus der Praxis, die in ihren eigenen vier Wänden durchaus meinungsfreudige, sich dann aber doch an die gesellschaftlichen Erwartungen anpassende Mutter – das alles sind starke Frauen, gegen die die Männer der Familie geradezu schwach erscheinen. Und die trotzdem zweifeln: „Was ist, wenn die doch recht haben“, fragt Sonbol und meint die Mullahs.

Niko Apels Film besticht durch die Nähe zu Sonbol und ihrer Familie, die diese ganz eigene „Rallye durch den Gottesstaat“ überhaupt erst möglich macht. Er kontrastiert geschickt den modernen Iran mit den überlebensgroßen Plakaten der Ajatollahs und Geschäften, in denen sogar die Schaufensterpuppen Tschador tragen.

„Sonbol“, das ist ganz schlicht und gar nicht altmodisch – Aufklärung. Aufklärung, die nicht bevormundet und schon gar nicht agitiert. Sondern im besten Sinne solidarisch ist, Partei ergreift. Und die noch viel stärker wirkt, weil sie das Ringen ihrer Protagonistinnen bis in die intimsten Bereiche des Lebens mit einfängt.

Selten ist ein Dokumentarfilm so „nah dran“, ohne dabei peinlich oder aufdringlich zu wirken. Und auch Sonbol selbst gebührt der Preis, weil sie nicht aufgibt und nicht daran denkt, sich anzupassen.

 
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