45. Grimme-Preis 2009

Leben und Sterben für Kabul (ARD/NDR/WDR)

Adolf-Grimme-Preis an

Hubert Seipel (Buch/Regie)

Christoph Mestmacher-Steiner und Heribert Blondiau (Redaktion)

Produktion: NDR

Stab

Produktion: Michael Schinschke

Buch/Regie: Hubert Seipel

Kamera: Jörn Schulz

Schnitt: Gaby Biesterfeldt

Redaktion: Christoph Mestmacher-Steiner (NDR), Heribert Blondiau (WDR)

Erstausstrahlung: Mittwoch, 1.10.2008, 23.45 Uhr

Sendelänge: 45 Min.

Inhaltsangabe

 Szenenfoto: Leben und Sterben für Kabul; Foto: NDR92 Euro Einsatzprämie pro Tag steuerfrei zum Gehalt – die Männer und Frauen, die dafür in Afghanistan arbeiten, riskieren ihr Leben. Sie sind Soldaten der Bundeswehr und leisten Aufbauhilfe ... offiziell. Inoffiziell sind sie längst schon im Krieg, sagen die immer zahlreicher werdenden Kritiker des Einsatzes. Die deutschen Soldaten sind unterdessen vorrangig um ihre eigene Sicherheit bemüht, wie Hubert Seipels Reportage zeigt. Die Stimmung ist angespannt und voller Misstrauen: „Befreier“ und „Befreite“ fürchten sich zunehmend voreinander, und so gibt es auf allen Seiten nur Opfer – unter den Soldaten wie unter der afghanischen Zivilbevölkerung. Das Truppenradio versucht, die Soldaten bei Laune zu halten. Die zuständigen Minister reisen an, um die Moral der Truppe zu stärken und weitere Eskalationen möglichst im Keim zu ersticken. So zahlt die Bundesregierung 20.000 Dollar an einen Clan, damit dieser keine Blutrache übt, weil deutsche Soldaten versehentlich Frauen und Kinder töteten. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung lehnen den Einsatz der weit mehr als 3.000 Bundeswehrsoldaten mittlerweile ab. Viele werfen der Politik Schönfärberei vor. Die deutschen Soldaten, die nach mehreren Monaten in ihre Heimat zurückkehren, sind nicht selten traumatisiert. Ihr Kampf gegen die Taliban, der offiziell gar keiner ist, scheint immer aussichtsloser in einem Land, das von der Demokratie noch weit entfernt ist. Stattdessen regieren Drogenhandel und Korruption.

Begründung der JurySzenenfoto: Leben und Sterben für Kabul; Foto: NDR

Ist die Bundeswehr in Afghanistan in einen Krieg verwickelt? Diese Frage beschäftigt 2008 Öffentlichkeit und Regierung. Und Hubert Seipel – in seinem Film „Leben und Sterben für Kabul“. „Wir sind dort in keinem Krieg“, sagt Verteidigungsminister Jung vor der Kamera. Seipel kontrastiert diese Sequenz im Laufe des Films mit Szenen von Kampfhandlungen, mit Aussagen von Opfern. Er vermeidet dabei den Duktus des Besserwissenden, vermittelt nicht den Eindruck abschließender Antworten. Er liefert vielmehr Informationen und lässt Spielraum für offene Fragen.

Der Film zeigt die offensichtlich unbeherrschbare Weite des Landes. Er vermittelt einen Eindruck von den Schwierigkeiten, wenn Afghanis und Deutsche zusammen auf Patrouille gehen. Und er weist mit beeindruckenden Aufnahmen auf den nur oberflächlich geführten Kampf gegen den Mohnanbau.

Seipel lässt erkennen, dass kulturelle Welten aufeinander prallen, wenn er offen legt, dass nach dem von deutschen Soldaten verschuldeten Tod von Zivilisten eine Blutrache nur durch Zahlung eines erheblichen Geldbetrages vermieden werden kann. Hier und in der Episode, die Außenminister Steinmeier bei einem öffentlichen Auftritt mit einem ehemaligen Warlord zeigt, liefert der Film Einblicke in die schwer durchschaubaren Vorgänge, mit denen am Hindukusch die Freiheit verteidigt werden soll.

„Leben und Sterben für Kabul“ zeigt, was den Soldaten dort abverlangt wird und wie sie damit umgehen. Erfreulicherweise vermeidet der Film die üblichen martialischen Bilder von kämpfenden Soldaten, wie wir sie aus Frontberichten kennen. Er zeigt Opfer der Kampfhandlungen – Tote oder Soldaten mit schweren Verletzungen; und auch Soldaten, die psychisch schwer traumatisiert sind noch Jahre nach ihrem Einsatz. Sie berichten mit erstaunlicher Offenheit von ihrem bisher nicht geglückten Weg zurück in ein normales Leben.

Dem Film kommt das Verdienst zu, durch seine Beobachtung mit der Kamera und seine behutsame Sprache dem Zuschauer zu vermitteln, wie deutsche Soldaten über ihre Ängste und psychischen Verletzungen sprechen. Wer will, kann aus diesem Film nicht nur über Afghanistan viel erfahren, sondern auch über den Umgang mit den Themen Angst und Krieg in Deutschland. Dem Autor Hubert Seipel gelingt in Zeiten des gelenkten, so genannten eingebetteten Journalismus ein erstaunlich unabhängiger und informativer Film, der zum Nachdenken anregt: Aufklärung in bester Tradition.

 
Zurück